Tinte-trilogie, die Ouvertüre: "Die welt, wie sie Wirklicht ist"

 

 

Kapitel I

Jesus zahlt!

 

 

 

 

 

 

 

Es ist der letzte Tag der Ortszeit. Handwerker arbeiten im Hof an Brot, Mauern und Urgefühl. Mario ist stolz auf seinen Sohn und spielt mit ihm Alphorn. Marie fühlt sich grippig, weil wieder eine Woche Streit mit ihrer Mutter hinter ihr liegt und sie jetzt Urlaub hat. Mario will von einem Mann ein paar weiße Luftballons für seinen Sohn kaufen. Der will sie aber gar nicht verkaufen. Er bietet ihm als Alternative einen Schleier aus Gries. Mario gibt 5. Marie hat Schwimmbadkarten. Erinnern heißt Glau­ben.

 

Ein General, der lesen kann, schlägt den Bau eines Theaters im Hof vor. Die Handwerker murren erst, dann sind sie Hammer und Meißel. Marios Sohn fragt Mario: "Warum lieben Menschen mit Geschmack Siena und hassen Salzburg?" Marios Sohn ist sechs. Sie gehen ins Café FDP vor dem Haus und drohen mit den Fin­gern. Zwei Heterosexuelle trinken Apfelsaftschorle aus großen Gläsern. Marie versucht Regenwürmer in ihre Schuhe zu ziehen. Dann nimmt sie zwei Aspirin und denkt an Streicheln. Die Hand­werker bilden einen Chor und singen zombielangsam "Mind the Gap!" "Ich will hier aber noch gar nicht aussteigen", beschwert sich Marie aus dem vierten Stock. Marios Sohn will Erdnüsse. Der General zeichnet mit seinen hellblauen Plastikstifeletten den Plan für das Theater ins Mehl. Die Würmer fliehen wieder aus Maries Halbschuhen.

 

"Ich glaube, alle Naturwissenschaften sind eigentlich eins." Marios Sohn befindet sich in einer telefonischen Diskussion mit seinem Spieleprogrammierer über neue Infektionskrankheiten, umherfliegenden Planetenschrott und Gartenschläuche in der 11. Dimension des Quarkschaums. Mario baggert am Thresen rum. "Man muß zum Heiraten heute keine Naziuniform mehr anzie­hen." "Ich weiß. Es reicht ein Platz in der Reihe." Mario und das Burgfräulein im Aquarium verstehen sich sofort nicht. Deswegen schenkt er sich den Trick mit dem neuen Vermögensbildungsge­setz. Wenn er das erklärt, verwandelt sich auch die härteste Komikerin in einen Tierfreund. Das hier sieht aber mehr nach neuem Bewußtsein aus, ein Standbild von Spaß. Nichts für Mario. "Ich suche Glück in der Familie", beendet das Mädchen die Minne.

 

Der General setzt seine gelben Gläser auf und spricht über Schuld und Leid am Theater. Marie lehnt sich über das Geländer und sieht den Handwerkern in den Ausschnitt. Der General blen­det die Sonne aus. Die Wachsfiguren beginnen mit der Arbeit. DJ Schüchtern legt dazu Platten auf.

 

Marios Sohn will heim. Marie jongliert mit fünf Zwiebeln, als Mario und Marios Sohn in den Hof treten. "Zuviel Stil macht dumm, mein Sohn." "Papa, ich will Björk heiraten." "Kriegst du denn schon einen hoch?" Marios Sohn ist sechs. Lässig läßt er den Penis über die Schulter hängen. Natürlich eine Fruchtgum­miattrappe. Samuel Beckett kommt Marios Sohn besuchen. "Hast du denn keine normalen Freunde?" "Doch. LSD und Turmsprin­gen." Mario schüttelt den Kopf und läßt sie alleine.

 

Marie blättert gerade in ihrem Sonderposten Babypause, als Mario Lust auf Sex bekommt. Er klopft bei Marie und fragt nach Reinigungs-Pils. Marie lächelt, Mario lächelt, das Klima ist aus Havanna, die Architektur aus Budapest, die Music von DJ Schüchtern: Big Beat.

 

Da sie nun beschäftigt sind, brauchen wir eine neue Person. Das ist Crazy, Moderatorin bei MTV und super mit dem Flugsimula­tor. Sie geht dem General bei der Planung zur Hand, während die Handwerker bereits die Grundmauern aus Maismehl, Eiern, Stärke und Vanillezucker gemixt haben. "Ich habe garantiert keine Körperprobleme", erklärt Crazy vor versammelter Mann­schaft. Samuel Beckett zieht eine faltige Gesichtshälfte leicht schief: "Die Frau ist ein Wunder, was?" Marios Sohn fällt darauf keine originelle Antwort ein. Macht nichts. Denn Samuel Beckett hat seinen Sack mit Blechdosen dabei und so bauen sie schwei­gend eine Schrotflinte. "War denn die ganze antiautoritäre Erzie­hung nur für den Arsch?" beschwert sich der General. "Nein. Nur die Verteidigung des Vaterlandes", fotzelt Marios Sohn zurück. Samuel Beckett ist das zuviel Botschaft. Marie kommt vor Mario.

 

Einer der Handwerker ist nervös und reizbar. Er hat vor zwei Tagen seine Freundin verlassen, die er eigentlich liebt. Jetzt hat er Fenster in den Theatersaal gemacht und muß nachsitzen. Crazy erzählt dazu Anekdoten von MTV. Der Handwerker heißt Petro. Das Hobby des Generals ist Glockenläuten. Deswegen muß er jetzt gehen. Und vorher noch ein kaltes Bier in der heißen Sonne. Crazy bleibt. Crazy mag Petro. Der merkt das gerade überhaupt nicht. Samuel Beckett und Marios Sohn müssen jetzt raus aus dem Hof, weil sie überall im Wege sind. Das Theater ist schon bis zum zweiten Stock gewachsen und verdunkelt dort die zu den Laubengängen liegenden Bäder und Küchen. Da macht auch Petro Schluß. "Darf ich dich zu einem Kaffee einladen?" fragt Crazy. "Wenn du zahlst!"

 

Marios Sohn und Samuel Beckett haben sich aufs Dach verzo­gen und diskutieren den Aufbau der Dolomiten. Mario und Marie machen es nochmal. Ein bleicher, schmalgesichtiger Junge sieht ihnen dabei durch die Fensterscheibe zu. Er steht auf dem Sims und fürchtet sich nicht. Langsam wird es dunkel. Die Witwen ziehen ihre schwarzen Kleider aus und öffnen die BHs. Die Venti­latoren beschleunigen das Raumschiff Erde. Der Ober lacht über einen Witz seiner Chefin. In den Theaterrohbau kehrt Stille ein.

 

Wer den Menschen in die Augen sieht, will irgendetwas. Wer durch das Eingangsportal des Theaters will, wird sich bücken müssen. Dafür sind dahinter zwei Zapfsäulen geplant, wo es Na­stro Azzurro und Milch umsonst gibt. "Ich mag Menschen", flü­stert Samuel Beckett in das Gewirr aus Fledermäusen und Müc­ken. "Du lügst!" beharrt Marios Sohn auf die Geschichtsschrei­bung. Der bleichgesichtige Junge umklammert mit der Zunge die Dachrinne und fragt sich, wer da spricht? "Das sind doch keine Italiener. Das sind römische Sklaven!" Aber Holländer wollen doch gar nicht alle in Wohnwagen Urlaub machen.

 

Und was macht Marie? Die ist eingeschlafen, nackt in den Ar­men eines nackten Mannes, den sie erst seit zwei Stunden kennt. "Nach dreißig Monaten bleibt die chemische Uhr des Verliebtseins stehen. Bis dahin muß eine Entscheidung über Fortpflanzung gefallen sein." Und wenn der jetzt ihre Wohnung ausräumt?

 

Crazy schüttelt den Kopf. Das kann doch nicht wahr sein, daß dieser Bauarbeiter nicht versteht, was sie von ihm will. Gibt es eigentlich noch Gefängnistürme für saumselige Geschlechtsver­kehrslinge? Crazy wippt nervös mit der Fußspitze. Der General besieht sich die Schwielen an seinen Händen. "Hanfseile sind einfach das letzte." Der bleichgesichtige Junge überlegt, ob er Gott mit einem Selbstmord beleidigen darf. Beckett möchte runter. Ihm wird kalt. Bei 24° C. Mario ruft seinen Vater mit dem Handy. Das klingelt in der Sofaritze. Samuel Beckett ist eingeschlafen. Marios Sohn holt ihm eine Decke. Der Satz "Das sind doch gar keine Italiener. Das sind römische Sklaven", stammt aus einer venezianischen Gasse. Das sagt ein Hotelboy zum anderen.

 

Mario geht es gut. Er schmiegt sich noch einmal an den nack­ten, schwitzenden Körper. Marie wacht auf und lächelt. Wie oft auf Erden ist das Leben so unkompliziert? Nur Crazy flucht leise. Gesprächsstoff alle. Petro hat nicht einmal auf ihre Titten ge­starrt. Marios Sohn inspiziert mit der Taschenlampe den Thea­terneubau, der riecht nach Vanille. 100 Plätze. Maximal. Petro ist einfach nicht in der Laune zu flirten. Er zahlt. Crazy ruft den General an. Das Handy klingelt in der Sofaritze. In Irland herrscht wieder Aufruhr. Erziehung tut hier dringend Not.

 

Marios Sohn ist müde. Es war das letzte Mal vor zwanzig Jah­ren, daß Samuel Beckett nüchtern eingeschlafen ist. Jetzt ver­stummen die Gespräche. Selbst Crazy geht in die Disco. 23° C. Mario bleib aushäusig. Marios Sohn hat ja den Wohnungsschlüs­sel. Der General steht im Park, läßt sich einen blasen und erzählt dabei von einem berühmten Theatermann, dem in einem New Yorker Darkroom das halbe Gemächte mit einer Rasierklinge ab­geschnitten worden sein soll. Was für eine verrufene Welt. Und weit und breit kein Briefkasten.

 

 

***

 

Samuel Beckett sitzt im FDP und trinkt vier Capuccino. Marie war auf das Dach gekommen, um eine weitere "Stadtlandschaft im Morgengrauen" zu malen. Der Ölgeruch der Farben hatte ihn geweckt. Jetzt sehnt er sich nach Händchenhalten. Der Scheuer­tenor aus dem Dritten beginnt zu üben. Die Handwerker kom­men, der General ist noch säumig. Crazy hat um sechs Uhr mor­gens noch eine gefunden, die ihr die Muschi auszuzzelt. Beckett hat vierundzwanzig Mückenstiche gezählt.

 

Langsam erhebt sich das Theater weiter aus dem Mehlstaub. Petro fürchtet sich vor der Ankunft von Crazy. Die Existenz von Hennes & Mauritz hat dafür gesorgt, daß Beckett schon drei Mal das gleiche hellblaue Minikleid vorüberstolzieren sah. "Dicke Menschen machen bei gleicher Geschwindigkeit mehr Hektik." Marscha zeigt hinter dem Ober her, Beckett nickt abwehrend. Der schmalgesichtige Junge fällt auf einen benachbarten Bistrotisch. "Ich wünsche mir eine Lebenspartnerin, die gleichzeitig stark und zärtlich ist." Irritiert stellt Beckett fest, daß Mascha den ab­solut identischen Körpergeruch verströmt, wie er selbst. Das kann doch nicht wahr sein?

 

Marios Sohn hat es bereits vor dem Frühstück in die höchste Dimension von "Sprachliche Aktion", ein Ballerspiel der übelsten Sorte, geschafft. Will er etwa seinem Vater die Festtagslaune verderben? DJ Schüchtern erscheint zur Arbeit und beginnt den Tag mit "Ora et Labora" von Slayer. Die Handwerker protestieren. Petro versucht alleine herauszufinden, warum seine Beziehung im Arsch ist. Crazy nähert sich ihm wieder. "Ein männlicher Penis ist einfach etwas sehr Schönes." "Nur die schönen. Die anderen füllen mühsam die Kluft zwischen Arm und Reich." Crazy lacht. Marie vernimmt Leben unten im Hof und spürt Transpiration. Marscha: "Ich habe gelesen, in Italien gibt es eine katalanische Minderheit." Wie soll man mit jemand flirten, der riecht, wie man selbst. Die erotische Balance aus Angst und Ähnlichkeit, eine Rutschpartie in die Verschmelzung. Schauderhaft.

 

Petro verschmiert vom zweiten Stock aus die letzten Fenster mit Teig und denkt über die Worte des Generals nach. Schuld und Leid im Theater – ein echtes Rätsel für das Leben. Crazy hätte jetzt gerne Zungenkuß mit ihm gemacht, aber für die Mit­menschen ist das Zusehen eine Zumutung. Nicht der Grund, warum Crazy stehen bleibt und schmachtet.

 

Marios Sohn beendet das Gedaddel und fragt seinen Vater, wo er eigentlich letzte Nacht gewesen sei. "Ich war müde. Deswegen habe ich mich zur Nachbarin gelegt." Samuel Beckett beobachtet drei Frauen vor dem Dessousladen gegenüber. "Bring deinem Mann doch soetwas mit. Du kannst es tragen, er kann es ankucken. Ist doch schön." Mascha: "Ich schreibe gerade an einem Drehbuch für ein Fernsehfeature 'Mit Casanova im heutigen Venedig'." Samuel Beckett: "Wir können keine Beziehung haben. Basta." Mascha weint. Marie kommt vom Dach runter. Zu heiß in­zwischen.

 

DJ Schüchtern legt gerade Adriano Celentano auf. Die Handwerker eröffnen den Disput, was in ihrem Theater eigent­lich gegeben werden soll. Schon steht der Scheuertenor zwischen ihnen und wedelt mit seiner Pizza. "Sing erst mal 'Nessun Dor­ma'", knurren die Handwerker. "Kein Problem." Die Arbeiter for­men ein autogroßes Schwarzbrot an seine Füße und werfen ihn in den Gesprächsfluß. Crazy steigt hinauf zu Petro. "Was hältst du von ultrakurzen Röcken?" Samuel Beckett steht auf und schlurft nach Hause. "Ich bin der einzige irische Schriftsteller, der nie­mals abgeschrieben hat." 24 Mückenstiche. Der Ober stellt Mascha einen Capuccino zum Trost hin. "Du suchst dir auch immer die falschen Typen aus." "Gar nicht. Das war Norman Mailer. Wer den nicht anspricht, ist meschugge." "Du blöde Kuh. Das war Samuel Beckett." Der schmalgesichtige Junge erhebt sich vom Bistrotisch. "Und ich Hisbollah-Arschloch habe dich immer geliebt." Some Kind Of Wonderful von Grand Funk Railroad. DJ Schüchtern hat kein Privatleben. Der bleichgesichtige Junge klettert wieder die Fassade hoch. Dabei entwickelt er eine er­staunliche Geschwindigkeit. Vor Marios Arbeitszimmer bittet er um eine Zigarette. Petro mag ultrakurze Röcke.

 

Eine leichte Briese verfängt sich in dem Rohbau und wirbelt ordentlich Mehl auf. Keiner hustet. "Kennst du den? Was sagt eine Blondine, die unter einem Kuheuter liegt?" Petro schüttelt traurig den Kopf. "Na, wer von euch geilen Stechern fährt mich jetzt nach Hause." Crazy lacht über den eigenen Witz. Petro grinst immerhin. Der General kommt und ruft alle zusammen, um über das Ornament zu sprechen. Er hatte schon seit drei Tagen kein Stuhlgang. Da betritt Kronprinz Sepp die Szenerie. Nachdem er sich den Kopf gestoßen hat, erklärt er den Niederknienden: "Ich habe hier einen Dichterling für euer neues Theater. Die Rüben­nase hier." Die Rübennase verbeugt sich höflich. Der General mag ihn sofort. Marie lackiert sich in ihrer Küche die Fußnägel und läßt die Milch überkochen. Mario könnte schon wieder und geht klopfen. Sein Handy klingelt in der Sofaritze. Es ist Eric Cantona, er fragt Marios Sohn: "Wo ist denn der Tattergreis, dein Vater, schon wieder hin?" "Hat gerade wieder ne Marienerscheinung." Cantonas Gän­seschreie dringen bis zu Rübennase.

 

"Ich habe erst einmal einen tollen Satz für euch." Rübennase spricht sächsich. "Dann sehen wir weiter." "Wasn fürn Satz?" knurrt der Biobäcker. "Geschichte ist der Journalismus des Le­bens." Die Meute schweigt, mit wiegenden Köpfen. "Hm, nicht schlecht." "Ganz ordentlich." "Für den Anfang." "Und was wird da für ein Stück raus? Kommen da auch geile Irschen vor?" Kron­prinz Sepp ist stolz auf seine Entdeckung. Da macht die einen kapitalen Fehler. Rübennase greift nach seiner akustischen Gi­tarre. "Nimm das Wimmerholz da weg." "Und bestell erst Mal den Eiswagen."

 

Das Licht geht an. Der Elektriker ist da. Vor dem Haus sitzt die Ereignislosigkeit und raucht. Diesmal kommen Mario und Marie gemeinsam. Die Gemeinde blickt ehrfurchtsvoll hoch in den vierten Stock. In Venedig regnet es.

 

Thilo Trieblastigkeit hat ein Vampirgebiß. Ist aber keins. Kron­prinz Sepp begrüßt ihn überschwenglich. Da kommt auch der Postbote. Sieht aber schlecht aus. "Gehts nicht gut?" "Ich leide an Durst." Marios Sohn packt seine Badesachen. "Erst einmal Nach­porto." Jetzt stehen sie fast alle im neuen Theaterbau. Der ist aber noch gar nicht fertig. Der General besteht auf Längsstreifen. Das Volk fügt sich. Kronprinz Sepps Stilunsicherheit ist die Chance für die Heuchler. "Die Farben Schwarz-Weiß-Gold-Rosa sind der Schlager der Saison." "Gebongt." Kronprinz Sepp reicht Thilo Trieblastigkeit sein Beißholz aus Platin, das ihm beim Ap­plaus aus der Hose gerutscht war. "Und oben drauf ne geodäti­sche Kuppel." Marios Sohn schnappt sich Marscha und Rüben­nase. Sie singen "Take care for the one you love". Ab zum Ba­desee "Zerkratzes Glas."

 

***

 

Marie jubelt: "Ich habe eine Hauptrolle in Rübennases neuem Stück 'adidas schläft'." Mario ist eifersüchtig. "Man wird ja so empfindlich." Kronprinz Sepp klingelt. "Ich habe gehört, Sie ha­ben den Niesschutz über der Salatbar erfunden. Gratuliere!" So­fort ist Marios Laune wieder super. Crazy hat immer noch keinen der Anwesenden abgeschleppt. Ist aber trotzdem bei der Sache. Samuel Beckett würde ja gerne, aber da trauen sich beide nicht. Mascha weint. Beckett und Marios Sohn arbeiten an dem Quoti­enten aus Relativitätstheorie und Quantenmechanik: dem Al­bernheitsfaktor. Der ist nachweislich seit 120 Jahren angestiegen. Jetzt streiten sie noch über sein Äquivalent.

 

DJ Schüchtern fragt den General: "Ob das hier mal Geschichte wird?" "Wann hat es das letzte Mal geregnet?" "Vor zwei Tagen." "Dann schon." Petro und die anderen prüfen gerade die Belast­barkeit der Kuppel. Mit Licht im Gang ist es jetzt Asche. Petro würde gerne seine Ex anrufen, weiß aber ganz genau, daß das nur wieder in der Katastrophe endet.

 

Thilo Trieblastigkeit hat die andere Hauptrolle ergattert und probt auf dem Klo. Sieben Sprechrollen sind noch zu besetzen. Der bleichgesichtige Junge soll im Bühnenbild rumklettern und ab und zu "Grazie Liverpool!" schreien. Das ist dann die Gesell­schaftskritik in einem Schlachtengemälde des Sports mit einer großen Leidensgeschichte.

 

"Ich will endlich wieder lachende Gesichter sehen", brüllt der General und rollt ein Faß "Regenwasser da Tavola" in den Orche­stergraben. Jubelnd lassen sich die Handwerker an den Lianen hinab in den Zuschauerraum und schnappen nach dem hochpro­zentigen Gesöff. Das Theater ist wirklich klasse geworden. Ver­gessen wurde nur der Kabelanschluß. Rübennase kommt mit den ersten zwei Akten von "adidas schläft". Der General hat einen Bariton. Er soll es vorlesen. Alle sind berauscht von dem Vanille­duft. Rübennase möchte gerne selbst Regie führen. Crazy holt Samuel Beckett. Konsens.

 

Kronprinz Sepp kommt nach dem Rechten sehen. Beige Turn­schuhe von Nike, goldbestickte Schlaghose von Armani, lila Knitterhemd mit einem Knopf von Comme de Garcons, Stetson von Hundertmark. Kein Platz zum In-Arsch-kriechen. "Lang le­be Louise Bourgeois!" brüllt Petro zur Entspannung. Die Haus­meisterin tritt zum ersten Mal auf. Das klatschende Geräusch von Schlappen, die gegen die Ferse schlagen, morst "Mittleres Alter, fettig und mürrisch" ins Rund. Seit sie beim Brotschneiden das Stromkabel vom Wasserkocher durchgeschnitten hat, muß sie außerdem alles zählen: "18 Männer, drei Frauen, ein Kind. 100 Sitze. Ein Kronprinz. Ein Kronleuchter. Keine Logen." "Danke, das reicht!" Der General hält ihr einen Humpen hin – "ein Humpen" – und schickt sie auf die Herrentoilette, nach Thilo Trieblastigkeit zu sehen. Samuel Beckett will mit der Leseprobe beginnen. Rü­bennase verspricht, in drei Tagen die restlichen Akte zu liefern. "Hoffentlich wird es nicht zuviel Herzensgewäsch", murmelt Beckett vor sich hin. Die erste Sprechrolle ist für Roi du Couscous und beginnt mit den Worten: "Noch 'ne Pfütze Bier?" "Das kann ja heiter werden."

 

Mascha sitzt in der letzten Reihe und weint. Marios Sohn schreibt einen Brief an Björk. Kronprinz Sepp hat ein Auge auf Crazy geworfen. "Ist der Platz hier noch frei?" "Aber bitte keine Schluchzlaute. Ich habe zu arbeiten." Marscha, Marie und Crazy wechseln Blicke. Kronprinz Sepp fängt an zu schwitzen. "Kopula­tion ohne Population. Nein, sage ich." "Das fliegt raus. Das ist von Joyce. Ulysses, Seite 595." Ehrfurchtsvolle Stille. DJ Schüchtern hilft mit Eros Ramazotti aus. Der bleichgesichtige Junge brüllt "Grazie Liverpool!" vom Kronleuchter. "Falscher Einsatz" knurrt Beckett. Dem General wird langweilig. Geht mit Mario ins FDP. Kronprinz Sepps Handy klingelt. Er versinkt vor Scham im Boden. Petro legt den Läufer drüber. "Danke, daß es dich gibt", übersetzt Crazy die Scheibe und lächelt Petro mit einer Gewalt an, daß es endlich um ihn geschehen ist. "Jetzt kriegen sie sich", erklärt Marios Sohn. "Krise bildet!"

 

Es gibt noch zwei Frauen- und fünf Herrenrollen. "Ist doch perfekt." Crazy spielt Merelen Ottey und Mascha Jürgen Klins­mann. Adi Dassler, Michael Jordan, Franz von Assisi, Mohammed Alis Arzt und Robert de Niro spielen die Handwerker Oh!, Aah!, Jürgen Holzenleuchter, Ralph Horizont und Tag der Unver­nunft. Petro hat sich nicht gemeldet, macht aber einen Vorschlag für den Untertitel: "Jugend ist Trunkenheit ohne Wein." In Ab­wesenheit von Rübennase nimmt Samuel Beckett an, obwohl er auch weiß, woher das stammt. "Das muß man einfach glauben", flüstert DJ Schüchtern.

 

Der General und Mario erörtern das Thema 'Eifersucht'. Beckett verlangt nach Marios Alphorn. "Dieser romantische Schmonzes braucht unbedingt etwas Phallisches." Die rauchende Ereignislo­sigkeit will bei den Proben zusehen. Hat einen Boxer dabei. "Kennst du den?" Petro schüttelt den Kopf. "Warum haben alle Boxer einen so gehetzten Blick?" "Keine Ahnung." "Sie sind so programmiert: Alles was kleiner ist angreifen, alles was gleich groß ist ficken, alles was größer ist ignorieren. Das sind eine Mil­liarde Entscheidungen pro Tag." Beckett schmunzelt Petro lacht. Niemand gefällt das Stück.

 

Adi Dasslers Irsche – das ist Marie – betrügt Adi Dassler mit Roi du Couscous, wenn Adi Dassler schläft. Michael Jordan und Mere­len Ottey betrügen ihn währendessen mit Nike. Seine heimliche Geliebte Jürgen Klinsmann weint im Fernsehen und Alis Arzt schlendert mit Franz von Assisi über die Documenta. Robert de Niro ist noch gar nicht aufgetaucht.

 

Björk ruft an. Sie will zwar Marios Sohn nicht heiraten. Macht aber die Musik. Der General rutsch besoffen vom Bistrostuhl und murmelt: "Papa? Gibts eigentlich noch Räuber?" Da kommt Rü­bennase ins Theater gestürmt. "Schmeißt das weg. Wir machen alles ganz anders. Das Stück heißt jetzt 'Jesus zahlt!' und hat die fünf Akte: 1.) Jesus baut sich ein Baumhaus und schläft darin., 2.) Jesus, Meister im Zielpinkeln, 3.) Jesus predigt den Fischen und der Zitronensoße, 4.) Jesus erscheint in der Vulva und 5.) Jesus versteht die ganze Aufregung nicht." Nach einem kurzen Moment der Stille brüllt alles durcheinander. "Bravo! Da habe ich auch noch einen Akt: 'Jesus beschwert sich über die Deckengemälde.'" "Ich habe auch einen: 'Jesus bestaunt die Reliquie 'Jesus Schädel als Dreizehnjähriger''." "Ich, ich, ich: 'Jesus segnet die Stinkmor­cheln'." "'Jesus verwirft die Zentralperspektive'." "'Jesus haut Maria'." "Jesus verlegt den Papst aus klimatischen Gründen nach Basel'." "Ruhe im Puff. Das ist ja nicht zum Aushalten. Halbe Stunde Flugangstpause. Dann sind alle Vorschläge eingearbeitet und wir beginnen mit der Hauptprobe."

 

Björks Bühnenmusik für Alphorn und Plattenspieler trifft ein. Mario und DJ Schüchtern ziehen sich mit der Filzstiftpartitur zu­rück. "Wenn der Hirte König wird, wird die Herde Verpflegung", prophezeit Marios Sohn. Crazy und Petro, die knutschen, vertrei­ben den Klugscheißer mit Erregungsfürzen. Rübennase verliest die neue Besetzungslist: "Jesus, gespielt von Thilo Trieblastigkeit. Maria, gespielt von Marie. Padre Omnipotente, der in einer Auto­lackiererei blöd geworden ist, gespielt vom Tag der Umwelt. Rabbi Katzenellenbogen – sein Motto: Ein Gott, der sich zeigen muß, kann kein Gott sein – gespielt von Ralph Horizont. Karin und Abel, gespielt von Crazy und Petro. Priap und die an­deren, gespielt von den anderen." "Das ist ja übersichtlich." "Das Stück beginnt mit dem Kindermord von Bethlehem." "Einspruch euer Ehren. Das entspricht nicht mehr dem Haß auf die verlogene Kuschelkultur. Ich schlage vor, wir beginnen mit einem Wind­hundrennen." Beckett setzt sich. "Will trinken." "Laßt uns was singen", schlägt Marscha vor, "das entspannt." "Wasn?" "Also, Abba ist meine Lieblingsband." "Thank You For The Music." Sie singen. Die eine Hälfte muß weinen, die andere Hälfte zählt die Elemente nach, der Boxer träumt vom Roten Meer, wo er Mal Tauchen war.

 

Die Putzfrau kommt mit einem Ledersack auf die Bühne. "Ich habe Dantes Asche in der Bibliothek gefunden." Beckett kratzt sich die Mückenstiche. "Stell sie unter meinen Stuhl. Vielleicht hilfts." "Ein Glück, daß es nicht D'Annunzios Asche war", flüstert Marios Sohn. "Dann bekämen wir jetzt einen Flohzirkus der Eitel­keiten statt eines Theaters der Erbauung."

 

"Bei Gott, laß es nicht zu häßlich werden." Das ist der General. Er lehnt blutend gegen den Türpfosten des Eingangstors. Sein Kopf ist nicht zu sehen, aber seine Hosen hängen auf den Knöcheln. Der Boxer nähert sich neugierig und berichtet den Zurückgeblie­benen: "Diesel-Jeans, Calvin-Klein-Unterhose, Duftnote: Hoden­milch, alt." "Ich kann so nicht arbeiten." Becketts Stimme wird schrill. Kronprinz Sepp kriecht unter dem Läufer hervor. "Ich lade alle in Schlotzkys Deli ein." "Grazie Liverpool."

 

 ***

 

Der bleiche Junge kaut auf Salatblättern und programmiert die Nummern der Crew und aller deutschen Journalisten in sein neues Handy ein. Mario stellt die alte Frage: Sex vor dem Spiel? Gut oder nicht gut? DJ Schüchtern feilt sich die Fingernägel spitz. Der Lautsprecher quäckt: "Maske!" Generalprobe. Marios Sohn schimmelt in der Ankunftshalle des Luftschiffhafens beim War­ten auf Björk. Samuel Beckett kontrolliert noch einmal den knie­tiefen Gesinnungsschlamm für den ersten Akt. Die Murmeltiere im Foyer spielen an den Automaten für ungelöste mathematische Probleme.

 

Die Handysuchspinnen werden im Saal freigelassen. Im FDP biegen sich die Tische. Samuel Beckett kann gerade noch verhin­dern, daß der General mit einem Anti-Kriegs-Transparent das Logo des örtlichen Sponsors verdeckt. Schließlich unterstützt die Zeitschrift "Mutter und Kind" sonst nur aus Versehen Erschos­sene. Marscha tröstet den General mit Argumenten. Marie be­steht auf Sex vor der Generalprobe. Auch Crazy und Petro üben schon einmal ihre zentrale Szene "Karin und Abel – die große Versöhnung" mit Cunnilingus und Fellatio. Der Spieleprogram­mierer von Marios Sohn, der das virtuelle Bühnenbild entworfen hat, schreibt an seinem großen Erweckungsaufsatz: "Besteht der Fortschritt der Menschheit nicht nur darin, sichtbare in unsicht­bare Verbindungen zu verwandeln?" In China startet der Virus 'Josef Felber', der innerhalb einer Woche das Apple-Betriebssy­stem MAC-OS als einzig funktionierendes auf der ganzen Welt zurücklassen wird.

 

Björk hat sich Marios Sohn zuliebe ein zitronengelbes, motten­zerfressenes Hochzeitskleid angezogen. Rübennase, der sich bis heute morgen noch für das größte Genie aller Zeiten hielt, weiß jetzt plötzlich nicht mehr, ob nicht alles totaler Schrott ist und kriegt seine Hände nicht mehr unter Kontrolle. Der Rückreise­verkehr verkeilt Kronprinz Sepp auf der Höhe Autobahnrast­stätte Dammer Berge. Tag der Umwelt spricht, den Mund voller Grissini, das herzliche Bedauern der ganzen Truppe aus. Der Ge­neral und die Ziegenfellverkäuferin, seine Gattin, prusten hörbar im Hintergrund. Der Lautsprecher quäckt: "Maske!" Marios Sohn und Björk bauen im Taxi den DNS-Strang eines Schlickwurms und lachen sich scheckig. Es geht also auch ohne Drogen. Die Al­pen machen sich auf den Weg nach Spanien. DJ Schüchtern spielt "It Never Rains In Southern California". Noch 15 Minuten bis zum Einlaß.

 

Die Souffleuse macht es sich in der Hängematte über der Büh­nenrampe bequem. "Sagmal Sam, wie entsteht eigentlich Wohl­stand?" Beckett hat jetzt keine Zeit für so einen Quatsch. Die In-Crowd trifft sich für letzte Vorbereitungen. Padre Omnipotente lutscht in seiner Garderobe Zitronen, damit er nachher besser sabbern kann. Die Lustgeschöpfe sind mittlerweile abgeschlafft und zwängen sich in die Kostüme. Thilo Trieblastigkeit bringt Marie mit seiner einwandfreien Textkenntnis in Bedrängnis. Die Murmeltiere im Foyer machen Uhrenvergleich. Schöne Damen sind auch da. Ein Kritiker will aus Erscheinungszwang mal wieder die Generalprobe rezensieren. Da treffen endlich die Stinkmor­cheln ein. Der bleiche Junge in seinem Fell aus Leuchtdioden klettert über die Decke des Zuschauerraums, um fehlgeleitete Handysuchspinnen wieder nach unten zu verfrachten. Der Him­mel ist wolkenlos und blau.

 

Der Stacheldrahtverhau vor dem Eingang wird endlich wegge­räumt, die Besucher bücken sich und treten ein. "Bier oder Milch?" Marios Sohn und Björk treffen gerade noch rechtzeitig ein. Die Hausmeisterin zählt die Eingänge. Der Vanilleduft des Gebäudes stimmt alle milde. Der Bühnenfeuerwehrmann lächelt sanft und entschläft.

 

Crazy: "Was ist jetzt eigentlich mit deiner Ex?" Petro: "Wenn sie mich hätte wiederhaben wollen, hätte sie ja mal anrufen können. Jetzt ist es zu spät." Marie sieht ihre Mutter im Zuschauerraum und kriegt die Krätze. Samuel Beckett steht wie ein Fels in der Brandung, einen kleinen Gong in der Hand und schlägt absolute Stille. Als er sich wieder hinsetzt flüstert ihm DJ Schüchtern ins Ohr: "Es gibt so viele schöne Mädchen auf der Welt." Der Vorhang hebt sich. Thilo Trieblastigkeit steht knietief im Gesinnungs­schlamm und hat den bedeutungsvollen ersten Satz vergessen. Nach zehn Minuten flüstert die Souffleuse genüßlich: "Such mir eine Frau, die Gewalt über meinen Geist hat." Samuel Beckett faltet glücklich die Hände zun Gebet. "Angie" mit Alphorn-Solo auf Drum'n'Bass untermalt den Auftritt Maries. Der Chefredak­teur von 'Mutter & Kind' ist begeistert: "Avantgarde. Das ist Avantgarde. Großartig." Marie spricht ihren zweistündigen Mono­log über den Mann und das Baumhaus. Marios Sohn hat noch nie so etwas Schönes gesehen. Björk, die kein Wort versteht, hält tapfer seine Hand.

 

Vor dem zweiten Akt ist eine kurze Pause. Der Boxer fickt Björks Reisetasche. Rübennase zittert. Mario macht Marie einen Heiratsantrag. Die Handysuchspinnen haben sieben Gäste ins Koma geschickt. "'Jesus, Meister im Zielpinkeln' ist deutlich kür­zer", beruhigt Rübennase seinen Freund, die verspiegelte Piloten­sonnenbrille. Samuel Beckett befiehlt der Hausmeisterin, wäh­rend der Aufführung die Kinder aus dem Haus zu jagen. Die hat keine Lust, sich unbeliebt zu machen, und wirft Stinkbomben in die Laubengänge. Das gibt Anschiß. Das Volk muß raus aufs Trottoir, die Dicke schrubben. So steht es im mosaischen Gesetz.

 

Thilo Trieblastigkeit ist immer noch völlig aufgelöst. Ein einzi­ger Satz im ersten Akt und gleich vergessen. Mascha tröstet ihn mit Argumenten. Ihr Geruch irritiert Samuel Beckett noch im­mer. Marios Sohn: "Bist du eigentlich für Aktiendemokratie und Schuluniformen?" Björk: "Hey, du bist sechs Jahre alt. Jetzt werde mal nicht onkelhaft." Trotz der Leuchtdioden strahlen des schmalgesichtigen Jungen Augen heller, wie er Mascha bei der Vorbereitung zu ihrem Auftritt durchs Schlüsselloch beobachtet. Sie eine Frau, die sich gerne auszieht, er ein Mann, der gerne spannt, was wäre das für ein tolles Paar.

 

Vor dem Haus streiten eine Dixieland-Kapelle und ein chileni­sches Panflötenorchester um die Sesterzen der Massen. Der Ge­neral ruft die Nationalgarde. Die Ziegenfellverkäuferin hat große Augen, die immer von links nach rechts und zurück kullern. Der zweite Akt beginnt.

 

Auf der Bühne steht ein Maisfeld auf dem lebende Handys herumkrabbeln und Mailbox-Nachrichten löschen. Im Baumhaus steht Jesus als 4-jähriger, die kurze Lederhose mit offenem Kuhstall. Marscha als Priap mit einem Meter stehendem Glücks­bringer fordert ihn zum Duell. Der bleichgesichtige Junge im Leuchtdiodenfell tritt auf, auf dem Kopf ein Likörgläschen. Der Menge stockt der Atem, in den Autovermietungen der Stadt schweigen für einige Momente die Telefone, die sieben Doppel­kinne der Hausmeisterin kramen nach ihren Papieren. Marscha macht vor Aufregung den ganzen Strompelz naß und der bleich­gesichtige Junge stirbt am Schlag – Blödsinn: In dieser Gechichte wird nicht gestorben, aber Thilo Trieblastigkeit trifft immerhin des Jungen Gesicht und hat gewonnen. Der Monotheismus kann sich eine kurze Verschnaufpause gönnen.

 

Doch der liebende Saal weint laut um Priap. Thilo Trieblastig­keit ist verärgert über diese einseitigen Sympathiekundgebun­gen und ruft nach Padre Omnipotente. Der irrt in den Katakom­ben umher und fragt die wilden Tiere nach der Bühnentür, aber die sprechen kein Omnipotentisch. Als sein grünes Lacostehemd endlich ganz voller Sägespäne ist, fällt er ins Maisfeld, worauf die Handys panisch zu fiepen anfangen und die Handysuchspinnen die Bühne stürmen. "Warum bist du eigentlich nicht in der Schule?" fragt Björk. "Das ist eine Dienstleistung, die ich nicht in Anspruch nehme." Dabei wollte Björk das Kind nur von dem grausigen Gemetzel auf der Bühne ablenken. "Ist das eigentlich Absicht, Sam?" fragt der General. "Den Hindernissen des Glücks zu begegnen und sie zu umgehen, dafür braucht es Weitsicht und mili­tärisches Geschick."

 

Padre Omnipotente, Jesus, Priap und der Leuchtdiodenpelz stehen am hinteren Bühnenrand mit den Schrubbern bereit. "Im Weinstock des Herren siegt immer noch Microsoft über den Islam", singen die letzten überlebenden Han­dys mit matten Sinustönen. Während die Schauspieler das Büh­nenbild in den Orchestergraben kehren, brandet Applaus auf, der sich gewaschen hat. Die Alpen entschließen sich zur Rück­kehr. Thilo Trieblastigkeit hüpft herum und wirft Kußhände ins Publikum. Marscha und der schmalgesichtige Junge heiraten. "Dagegen ist Aida doch schwacher Brückenkummer." "Und Goe­the, das reinste Verbalkonfekt." "Und Palladio erst, steingewor­dene Zischlaute." Draußen führen die Brauseköpfe von der Natio­nalgarde die Musikkapellen singend und in Ketten in die Stein­brüche.

 

Kronprinz Sepp kommt mitten in den Applaus und hat gleich einen Verbesserungsvorschlag. "Können wir nicht noch die Ge­schichte von dem Gefängnisdirektor einbauen, der wegen Ver­gewaltigung seiner Gefanginnen verurteilt wurde, obwohl er we­gen Diabetis erwiesenermaßen keinen hoch bekommt?" "Wäre er nicht der Kronprinz, er hätte jetzt die Wahl zwischen Faul- und Gärturm." "Mit oder ohne Milchglasscheiben?" DJ Schüchtern, der nicht mehr von Samuel Becketts Seite weicht: "Meinst du, wenn sie dafür zahlen müssen, kommen sie auch so zahlreich?" "So zahlreich wie Möwen auf die Müllkippe." Am Eingang klebt jetzt in Kopfhöhe ein einfaches Schild: "Handys aus?" Marie jongliert zur Entspannung mit sieben Zwiebeln. Mario ist ja soetwas von verliebt.

 

Im dritten Satz spielen Rabbi Katzenellenbogen, Padre Omnipo­tente, Karin und Abel gemixtes Doppel auf einem Platz aus Zitro­nensoße, in der Fische schwimmen. Jesus steht auf der Plattform, hört im Walkman "Beinhart" von Torfrock und schlägt mit seinen Springerstiefeln den Takt, daß das ganze Baumhaus friert. Priap und die andere haben Krankenpflegeruniformen angelegt und verbildlichen das Weltgewissen. Das virtuelle Bühnenbild zeigt Franzosen beim Boule-Spiel. Vögel zwitschern. Aus dem Schnür­boden kommt ein Schild "Hotel Anabel – Einzelwanderer Off-Limit!" und verschwindet wieder.

 

Kronprinz Sepp versteht nur Bahnhof. Rabbi Katzenellenbogen: "Ich soll also wieder die Ka­stanien für dich aus dem Feuer holen?" Padre Omnipotente: "Du hättest dich als Halbstarker eben gegen Fußball und für die Rockmusik entscheiden sollen. Jetzt sind runde Dinge deine Sa­che." "Wann gibts denn Nackerte?" flüstert Kronprinz Sepp zum General. "Ich muß schon sehr bitten, Majestät. Wir sind hier nicht in ihrem Homologischen Garten." "Was für eine Fehlkonstruktion" murmel Marios Sohn: "Blasiert im Ibiza-Shirt." Padre Omnipo­tente: Was ist der größte Lernerfolg für ein katholisches Mäd­chen?" Rabbi Katzenellenbogen: "Daß es möglichst schnell den Unterschied von Schuld und Verantwortung kennt." Samuel Beckett haßt diese Szene. Sie ist so eindeutig. Der Chefredakteur von "Mutter & Kind" bestückt seinen intellektuellen Setzkasten neu und schiebt die Rettungsringe zurück ins Korsett. Padre Omnipo­tente: "Aber ist Schuld nicht der Setzling der Weisheit?" Rabbi Katzenellenbogen: "Aber das interessiert doch nur Schwule, Ju­den und Österreicher." "Von Österreichern steht aber nichts im Manuskript", plärrt die Souffleuse.

 

Aufschlag Karin. Abel fällt in die Zitronensoße. Jesus beginnt mit seiner Predigt. Dazu müssen sich Padre und Rabbi auch in die Zitronensoße legen, denn auf ihren Rücken steht Thilos Text. Also legt sich auch Crazy in die Zitronensoße und robbt schon Mal rüber zu Petro – für die große Versöhnungsszene. "Man soll den Mund nicht zu voll nehmen", setzt Thilo Trieblastigkeit an, denn..." "...ohne Brille siehst du nichts", höhnt die Souffleuse aus der Hängematte und spricht nun Jesus' große Predigt an die Fi­sche und die Zitronensoße. Darin geht es um den Fluß der Zeit, seine Biegungen und Stromschnellen, seine stinkenden, stehen­den Seitenarme und die Gefahr von zuviel Hobbyanglern. Sehr tiefsinnig irgendwie und ebenso irgendwie ziemlich viel bei Shakespeare abgeschrieben. Nur das der seine Spaghettisätze mit Soße gereicht hat.

 

Ein Veterinär in der ersten Reihe zeigt derweil den Zuschauern um ihn herum seine 140 Impfnarben. Nach dem Bunt-Bändsel-Verkäufer, dem Schwämme- und Rosenverkäufer zieht nun ein Penner durch die Reihen, um Dalmatienerwelpen zu verkaufen. "Können sie sich nicht etwas Anständiges anziehen, wenn sie ins Theater gehen?" bellt ihn Kronprinz Sepp an. "Ich fühle mich als Penner, Majestät, also kleide ich mich auch so." Brausender Ap­plaus folgt dieser Bemerkung. Die vier Hauptdarsteller in der Zi­tronensoße, die mittlerweile eingeschlafen waren, erheben und verbeugen sich. Beckett läßt die Teebeutel regnen und die Zitro­nensoße aufkochen. Die Schauspieler verlassen an den Lianen die Bühne, der Rest ist eingeladen, sich einen Teller zu nehmen, und bedient sich.

 

Petro und Crazy geben die Versöhnungsszene für die Umkleide. Rübennase tut so, als verliefe alles nach Plan. "Wann kommt den die Pointe?" nörgelt die verspiegelte Pilotensonnenbrille. "Am Schluß!" knirscht es in der Rübennase. "Und wie ist die?" "Warts doch ab!" "Und wie ist die jetzt?" Rübennase besieht sich das straff gespannte Oberhemd und seufzt: "Jesus ist ein Albino." Die verspiegelte Pilotensonnenbrille kratzt sich die Arschritze: "Und?" "Jesus war ein Albino", versucht es Rübennase noch ein­mal. "Wer ist denn das Gesicht mit den Emailleschäden neben dir?" fragt Marios Sohn den Dichter. "Ach nichts. Nur so ein hals­abschneiderischer italienischer Zugschaffner." "Ach hast du wie­der vergessen, deinen Uniabschluß im Foyer abzustempeln und mußtest jetzt Strafe zahlen?" "So oder so ähnlich." Im Kopf des verspiegelten Körpers ist alles stumm. Damit er nicht stirbt, greift ihm Rüben­nase an die Gurke. Die Saatkrähen fliegen erschrocken aus dem Schamhaar auf.

 

"Kommt das Paradies auch noch?" fragt Kronprinz Sepp den General, als alles wieder Platz genommen hat. "Nur als Metapher" antwortet dieser und lächelt gefällig.

 

***

 

Wir haben also seit Beginn der neuen Zeitrechnung drei neue Lebensgemeinschaften und keine Scheidung. Petros Scheidung lag davor. Außerdem bahnt sich eine weiter Ehe an. Die rau­chende Ereignislosigkeit und die Hausmeisterin sind sich näher gekommen, nachdem Siebenkinn ein Dalmatienerwelpen erstan­den hat. Im großen Tumult, als die Gesundheitsbehörde die Ge­neralprobe abbrach, weil das Theater keine Behinderten-Fea­tures hat, hatten sich erst die Hunde und dann die Halter ange­freundet. Vor Glück ließ sie es dann auch geschehen, daß man ihre Wohnung zu WCs für Lifelong Challenged umbaute und ihre Regale zur Herstellung von Barrierefreiheit zerlegte.

 

Es ist der Morgen vor der Premiere. Die meisten der Beteiligten haben sich gerade erst abgemattet. Samuel Beckett signiert Pro­grammhefte. Sein Ehrgeiz ist es, unter sieben Stunden zu bleiben, bei einem konstanten Puls vom 30 zu 190. Marios Sohn schläft in Björks Schoß, aber mehr als eine E-Mail-Freundschaft wird dar­aus nicht. Erst hatte er sie bei Sonnenaufgang unbedingt küssen wollen und dann haben sie sich gestritten, ob man Schnauzer verbieten muß oder nicht. Kein perfektes Entree für ein Glück, das erst der Schnitter scheidet – mal ganz abgesehen vom Al­tersunterschied. Marscha und der bleichgesichtige Junge, dem wir jetzt einen Namen geben – er heißt Bobby Fischer – widerste­hen der fleischlichen Versuchung und verbringen den Vormittag damit, die Straßen hinunterzugehen und Autosirenen anzutreten. Später finden sie in den Ruinen der Intensivstation ein paar Pi­xie-Bücher, die sie noch später Kronprinz Sepp schenken werden, der sich darüber ganz bestimmt freut.

 

Doch was soll bloß aus DJ Schüchtern werden? Keine schöne Geliebte, keine extravagante Lebensphase, keine Marotten, kein Führerschein. "Komm nicht unter die Gleise", hatte selbst Mario ihm geraten, als er ihn dabei ertappte, wie er Handytelefonate mit seiner Plüschlokomotive spielte. "Du hast doch so schöne Au­gen." Seitdem blinkert DJ Schüchtern jedes weibliche Wesen an, das ihm entgegenkommt und gilt als komplett plem-plem. "Wer kennt schon Depression und Euphorie in ausgeglichenem Maße?" beruhigt Samuel Beckett die Kartenabreißerinnen, während er seinen nackten Körper mit Nivea-Bodylotion einreibt und dabei einem Vortrag im Radio Deutschland über "Korrespondierende Verhaltensweisen in Paarbeziehungen – ihr Nutzen und ihr Ver­hängnis" lauscht, den er selbst geschrieben hat. Alle anderen Akteure schlafen. Selbst Rübennase, sogar in den Armen seines Kent. Nur die Bühnenarbeiter müssen schuften. Dafür kriegen sie aber auch weniger Geld. Was kann der moderne Mensch dafür, daß die Mondfahrt ihre technische Heilserfahrung gewesen ist? Nichts, würde ich sagen.

 

Da kommen die Berge, auch der See nähert sich. Schweinchen Dick dreht an der Uhr und das Schockaufstehen macht die Runde. Dünste aus allen sieben Körperöffnungen. Und dann nur Dollar­regen aus dem Duschkopf. Na ja, man nimmt, was man kriegen kann. Auch Champagner mit Rettich zum Frühstück. In einer halben Stunde ist Mannschaftssitzung und Samuel Beckett ist wieselflink mit der Rotation, wenn einer keine Manieren hat. Marie hat noch schnell einen niedlichen Jungen geboren, den sie Joseph nennt und erst einmal zwischengefriert, weil sie jetzt keine Zeit zum Stillen hat. Ein Techniker besorgt währenddessen in der Stadt eine Mikrowelle, damit das Auftauen später schnel­ler geht.

 

"Leute, Ladies and Gentlemen, Countdown. Unsere Vor­fahren waren Affen, unsere Nachkommen werden die Phantasieb­lockaden aufheben, die uns noch vom Urgrund lösen, und heiße Renner sein. Drum strengt euch an. Wir müssen noch Gedanken­fallen aufstellen, um unsere Seelen mit Fortschritt zu zieren. Also, irgendwelche Probleme?" "Wir haben große Schwierigkei­ten beim Nachschub Gesinnungsschlamm. Parlamentsferien. Au­ßerdem brauchen die Stinkmorcheln zu viel Zuneigung und ver­lieren ihre Federn." "Streunende Langeweile rottet sich im Zen­trum zusammen und plant eine Großdemonstration mit gewalt­tätigen Ausschreitungen." "Kronprinz Sepp hat sich die Zentral­perspektive erklären lassen und ist gegen ihre Abschaffung." "Vor der Tür verkaufen sie faules Obst." "Kackt euch ins Hemd, ihr Popel. Ich habe nach Problemen gefragt." Alle weinen vor Er­schöpfung. Samuel Beckett entschuldigt sich. Eric Cantona zieht mit einem Spielmannszug ins Theater ein – zwei Stunden zu früh – und will singen. "Ich will singen!" Mario bringt ihm Kartoffel­chips, damit er endlich lernt, stillschweigende Abmachungen wie "Theatersaal ungleich Fußballstadion" zu akzeptieren. Dann spie­len sie ein wenig Schüttellähmung gegen Schluckimpfung und es ist Ruhe im Karton. Seit Mitterand tot ist und auch der Franzose Englisch lernen muß, ist er betäubt von Welt und hat seine vor­trefflichen Sitten vergessen.

 

Mädchen mit frisch gewaschenen Haaren, aber ungeölten Ket­ten, radeln am Haus vorbei. Samuel Beckett spricht über das Evangelium der Leidenschaften. "Alles eilt vom Schlechteren zum Besseren, sagt Basiledes." "Das ist doch die Weissagung eines Apothekers aus der Giftküche der Liebe", raunt Crazy zu Petro. "Verstehe ich nicht!" antwortet der und schämt sich überhaupt nicht. Samuel Beckett wirft mit dem Schlüsselbund nach den Flüsterern. Die lähmende Anstrengung von vielen unterschiedli­chen Dingen belastet all jene, die versuchen, das Ganze mitzu­denken. Rübennase hat dafür ein unschlagbares Rezept: "Ärger ist besserer Schutz als Angst." Langsam entwickelt Samuel Beckett gewisse Hochachtung.

 

Marios Sohn und sein Spielepro­grammierer spielen unter der letzten Bank Alogarythmen-Ver­senken. Marscha und Bobby Fischer basteln lustige Hütchen für die Premierenfeier. Die Ziegenfellverkäuferin plant Reinigungsri­tuale. Die Maske kommt wie immer zu spät, weil sie sich über das Mädchenproblem 'Schuldgefühle' verquatscht haben. Als Un­entbehrliche begrüßt Beckett sie nur mit "Spinatwachteln". Marie strickt aus ihrer Nachgeburt Glibbermonster und ist überhaupt nicht nervös. Das Projekt kniet über dem Abgrund, wird aber umschwirrt von Magneten mit Hermesflügeln, die es immer ret­ten werden, es sei denn, das Wetter treibt sie in die Flucht.

 

Das Kostüm will alle Schuhe ganz lang machen. Die Kirche will die Nudeln al dente. Das Licht belegt die Weinkarte mit dem Kü­chenbann. Eigentlich weiß jeder, was zu tun ist. Was für ein herrlicher Anblick menschlicher Solidarität und Nähe. Kann das Wirklichkeit sein? Nein, natürlich nicht, denn Thilo Trieblastig­keit verträgt seinen Identitätsurlaub nicht und zittert. Er hat so kalte Hände, daß alle Nacktschnecken in seiner Umgebung schockgefrieren. Beckett schickt ihn zur Beichte. Der Schnupper­kurs Katholizismus soll ihm die letzten Vorbehalte gegen Koks-Doping rauben.

 

Die Gossenkinder aus Bogota, die die Fassade noch mit schwarz-grün-schimmernden Chininpanzern verkleidet haben, kommen in die Sitzung, um sich ihre Freikarten abzuho­len. Die Königin, rechtzeitig zurück vom Bohrinselverschrotten, läßt sich ankündigen. Onkel Hannemann, der immer alles falsch versteht, bittet um einen Platz auf der Bühne. Samuel Beckett als herausgeforderte Wirkungsmacht beschränkt sich auf das Ein­träufeln von Mißmutslauten. Rotkehlchen klagen die Unordnung an und verlangen einen neuen Gesellschaftsvertrag. Bobby Fi­schers Marthaler-Strohhut wird verboten. In der Stadt brennt das Ghetto. Die Techniker sammeln noch schnell Wasser in den Badewannen des Hauses. Auch die Erinnerung bekommt ihren Grauen Star. Marios Sohn und sein Spieleprogrammierer fotzeln jetzt über Primzahl-Maniacs. Die Stimmung ist im Großen und Ganzen also gelöst und erwartungsvoll.

 

Auch wenn er ein wenig die gereizte Nervösität vermißt, die sich später in Virtuosität verschraubt, beendet Samuel Beckett die Sitzung, schenkt an alle zur Ein­stimmung einen erlesenen Tropfen – Côte de Manchester – aus und die Seligen singen "Lavendel, Oleander, Jasmin, Vernell". Thilo Trieblastigkeit kommt vom Dom zurück. "Die Kirche spricht nicht mit Vampiren." Mascha tröstet ihn mit Argumenten. Sein Beißholz aus Platin wird nützlich gesprochen. Noch einmal singen sie das Vernell-Lied. Trübsal stirbt den Ehrentod.

 

***

 

Das Theater sieht hinreißend aus. Das Schimmern der Käferpanzer im Abendlicht, die vorgebaute Stadtloggia aus stereoiden Anabolika, das Schwarzlicht der heiligen Grale (oder heißt es Grals oder Gräle?), die Hutablage aus reinem Ramseier Süessmost, das "Quack! Quack!" der Kröten unter den goldenen Fußabtretern und erst die Gäste. Felix Ramseier und seine Micro­sklaven sind selbst gekommen, umhüllt von nassen Kleenex-Tü­chern. Die letzten lebenden Picasso-Erben lassen sich in Glasvi­trinen hereinrollen. Goethe, Schiller, Lessing und Heine haben ihre Wurzeln geschickt. Der Doge kommt mit seinen sieben Söh­nen und Verona Feldbusch auf dem Stretch-Roller an. Sepp Her­berger verteilt Kurzprosa vor dem Haus. Köstlich auch Jesus’ Zwillingsbruder Thomas Didymus, gekleidet in Moschus und Hy­steria, der den wartenden Reportern noch eine kurze Einführung gibt: "Im sozialistischen Realismus geht es darum, die Machtha­ber in einer Form zu rühmen, die zu verstehen sie in der Lage sind." Sofort protestiert die Vertreterin der Kassenpatienten: "Das ist von Wojnowitsch, Sie kleiner Angeber." DJ Schüchtern be­schallt das Foyer mit den sanften Weisen von "Macht und Mo­nument". Bobby Fischer klebt unter der Decke und wählt die Handy-Nummern aller deutscher Theaterkritiker und Feuilleton-Chefs an, um zu sehen, wer da ist. Jeder Platz wurde drei Mal verkauft. Da kommt die Königin. In ihrer Begleitung Kronprinz Sepp und der fette Mönch mit Thilos Bißwunde am Hals, Prunikos genannt. In seinem Schlepptau seine berühmtesten Charaktereigenschaften: Vergeßlichkeit, Bosheit, Eifersucht, Neid und Materie. Die Carabinieri sorgen sofort für ihre Abspaltung und befördern sie zu den wilden Tieren, bevor der Eremit vom Monte Generoso eintritt und an dieser Hofart Anstoß nehmen kann.

 

Der Direktor des Schornsteinfeger- und Angstmuseums: "Ja Servus! Welche Phobien sind denn hier versammelt?" "Proleta­riereangst." "Erdbeerallergie." "Nebensatzpanik." "Pseudokrupp." "Ablenkungszwang." "Ich werde immer aggressiv, wenn mir Menschen auf die Pelle husten." "Retentiv gehemmt." "Anal, oral, vaginal." "Serpentienenfieber." "Gibts denn Hilfe?" "Leute, mal herhören! Verdrängen ist gut, Vergessen ist besser!"

 

Geheilt wendet sich das Foyer wieder den Getränken und seinen merk­würdigen Geräuschen zu. "Die brauchen solche Extremerfahrun­gen", flüstert der Direktor der Königin zu, "damit sie sich über­haupt noch spüren." "Sie Sprücheschneider. Gehen Sie lieber mal in die Damentoilette und reparieren den Wasserhahn." Und zu Kronprinz Sepp, der bereits alle Tapasschälchen leergefressen hat und jetzt von oben bis unten bekleckert und bekrümmelt am Bierstand steht: "Ich kann diesen Spezialistenhumor nicht aus­stehen." Das ganze Foyer erstarrt zu Salzsäulen. Wird sie "Jesus zahlt!" ebenso verbieten lassen wie das "Kulinarische Quartett" und den Makuliskenstreit? Wo "Jesus zahlt!" alles neu macht, der darstellenden Kunst wieder eine Zukunft gibt und die Flaumher­zigkeit des Anything Goes mit den Haaren auf den Zähnen der Kritik in den Orkus des Friseusinnengesprächs spült? Oskar: "Ich habe eine Tomate!" Jubel, Begeisterung, Rühren! Die Situation ist gerettet, noch rechtzeitig bevor der Eremit aus seiner Grotte ge­krochen kommt und die gefrorenen Nacktschnecken von den Wänden nagt. "Lieber den Magen verrenkt, als dem Wirt was ge­schenkt."

 

Auf den Händen herein kommt der Ungar. "Ich muß meine Ausländerdepressionen überwinden." Der sanfte Prunikos fragt den schmatzenden Eremiten: "Eure selige Einfalt, dürfen Heilige Spaß haben?" "Wir oben auf dem Monte Generoso sagen immer: Selbsthaß produziert nur Unglück, läßt sich aber leider nicht auf Knopfdruck abstellen." Der Handtuchverleiher macht die Runde. Seine Haut vollzieht den steten Wandel von Kashmir zu Kaktus. "Was machen Sie denn so?" versucht die oberste Kassenpatientin ein Versöhnungsgespräch mit Thomas Didymus. "Tagsüber züchte ich Rosen und nachts hole ich Stealth-Bomber vom Him­mel." "Er kann nicht anders", tröstet sie Marios Sohn: "Er hat diese krankhafte Sehnsucht nach dem alten Telefonklingeln." "Schaumbad, Toilettenparfüm, Schmackos", ruft der Handtuch­verleiher durch die Lobby. "Danke!" antwortet Eric Cantona, der vor dem offiziellen Einlaß mit seinem Spielmannszug wieder ausziehen mußte: "Ich habe vier Kinder. Ich brauche kein Haar­gel mehr." Seine Gänseschreie amüsieren die deutsche Selbst­zermürbung. Das sprechende Gemüse erspürt bei ihm die der Lust hilfreiche Schwäche des Geistes und berührt ihn ehrfuchts­voll. Cantona sucht derweil mit dem Feldstecher in der Menge nach neuen Onaniephantasien.

 

"Kennen Sie Vereinsamung in großen Menschenmengen?" fragt die Königin Bobby Fischer, der über ihr hängt wie eine Fleder­maus. "Und ob, Majestät! Meine Talente erlauben mir nichts an­deres." "Dann sind wir uns ja ähnlich." Wann wurden Sie das letzte Mal von einer leibhaftigen Königin angeflirtet? Jetzt nicht in der Nase popeln.

 

"Taschenstaubsauger, Hühneraugenpflaster, Merkheftchen." Der Handtuchverleiher versucht es wirklich mit allen miesen Tricks. Samuel Beckett beobachtet das fröhliche Treiben mit den Überwachungskameras und kaut Qat mit Stu­benfliege. Die Akteure haben sich noch einmal nackt auf dem Dach versammelt für ein letztes Thai-Chi vor dem großen Ren­nen. DJ Schüchtern spielt dazu Adam & the Ants, die heute auch auf der Gästeliste stehen. Die Hausmeisterin versucht verzwei­felt, Bügelfalten in den Bühnenvorhang zu bekommen. Mario singt den Handysuchspinnen Beruhigungstabletten vor, weil die damit begonnen haben, sich gegenseitig Kosenamen zu geben, und droht mit dem Bunsenbrenner. Rübennase und der Spiele­programmierer von Marios Sohn ölen die Zahnradbahn für die oberen Sitzreihen und unterhalten sich übers Schreiben. "Letzt­lich kommen der Schriftsteller und der Bauer auf dieselben Ratschlüsse, wenn es um die entscheidenden Dinge des Lebens geht: um Liebe, Älterwerden und Einsamkeit." Der Spielepro­grammierer bekommt einen Herzensständer und ritzt in den schwarzen Lack der Zahnradbahn: "Ruth und Astrid lieben sich!"

 

Der Chefredakteur von "Mutter & Kind", der noch bis 11 Uhr vormittag auf ein Hörnchen in der Wirtschaft war, ruft an und läßt sich entschuldigen, Björk löst die Kreuzworträtsel in der Bi­bel. Die Lianen kräuseln sich auf der Flucht vor Frau Hausmei­sters Dampfbügeleisen unter die Decke. Das Ensemble begiebt sich im Gänsemarsch in die Maske. Im Foyer belästigen einige kaffeeschlürfende Japaner in Trachtenjacke und mit Mundschutz am Kinn die Gäste, indem sie laut knuspernd ihr stinkendes Al­gengebäck knabbern. Der General ruft die Alemannen zu Glüh­wein mit Zimtstängele. In dieser Pattsituation schreit der Hand­tuchverleiher: "Patriotismus, Nationalismus, Kosmopolitismus, Dekadenz!" und in das falsche Vakuum dringt wieder Gelächter.

 

Vor dem Haus demonstiert das Kindertheater der Vereins- und Westbank, dessen Bühne gestern abgerissen wurde, mit frechen Sprüchen: "Studienstaat, Studienstaat, hat den Kopf voll Draht!" Schaulustige bekommen Mottenaugen. Sitting Bull wird von den Reportern gefragt, was er sich für den heutigen Abend wünscht: "Es soll regnen, damit der Mais wächst!" Der Stand mit Gonzo-Pornos ist in einer Atto-Sekunde abgeräumt. Ein Transmitter-Bakterium, verantwortlich für die evolutionäre Gabelung von Wal und Rind, dessen biologische Uhr abgelaufen ist, stellt zeit­gleich in allen lebenden Organismen der Welt seine Tätigkeit ein. Eine Gruppe von Rentnern auf Campinghockern hat sich auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig vor dem Dessougeschäft zu ei­ner dichten Gruppe versammelt, und zeichnet die Fassade. Crazy und Petro demonstrieren für all jene, die keine Karte mehr für die Premiere bekommen haben, ihre perfekte sexuelle Uhrwerk­technik. Das unansehnliche Elend erhält seine drei Ehrenkarten von der Société Lutêce und versetzt sie sofort in der nächsten Bigotteria, wo sich ein Haufen gackernder Computer mit Telefon-Jazz unterhält.

 

Der Mond geht auf. Das Ensemble probt noch einmal die Ap­plausordnung. Der General knutscht in der Kantine mit den Technikern. Die Ziegenfellverkäuferin spinnt dazu Seemannsgarn. Auch Besucher aus der Zukunft müssen sich irgendwie das Ver­trauen der Gefühlsgeplagten erarbeiten, sonst geraten sie in den Radar der Lymphdrüsen. Beckett startet den Final Countdown. Mascha macht Bobby Fischer eine Riesenszene wegen seines Flirts mit dem Ancien regime. Endlich negative Vibrations. Beckett hat es schon nicht mehr zu glauben gehofft.

 

Mit staatstra­gendem Muzak von Arvo Pärt wird der Saal geflu­tet. Der Hof findet seine Loge nicht. Kronprinz Sepp fragt die Kartenabreißerinnen: "Wo sitzt die Königin?" "Zwischen Renten- und Sozialversicherten." "Flittchen!" "Kartoffelfresser!" Umkehr ist schwer mit solch einem Programmhinweis, aber die Königin hat längst einen Platz in ausreichender Ferne zu Kronprinz Sepps Bierfahne gefunden und diskutiert mit dem Eremiten und Tho­mas Didymus das Thema der Woche: "Artenvielfalt, brauchen wir die?" Auch Prunikos kocht vor Eifersucht und zerreißt aus Zorn "Der große Kulturfahrplan" von Werner Stein mit bloßen Händen. Der Kronprinz aber tut ganz unbeteiligt: "Was soll man schon mit einer reden, die zum Hautarzt geht, Microsoft-Aktien besitzt und gerne Spatzen füttert?" Der Bundeskanzler, der nach einem tödli­chen Überholmanöver bei einer Sonnenfinsternis erblindet war und deswegen das Königreich schrubben muß, überläßt Sepp sei­nen Platz neben dem General, der innerlich aufheult wie ein Kin­derhort auf Ritalin-Entzug. Padre Omnipotente beißt noch einmal in ein paar Zitronen, damit er nachher besser sabbern kann. On­kel Hannemann, der immer alles falsch versteht, kritisiert mit dem Bühenfeuerwehrmann die Sitzordnung im Vergleich zu 1913. Der heilige und der profane Amor sind wie immer im Streit: "Caritas' Brüste sind nicht böse!" Blumen Jacques sucht im Publikum ein Gelegenheitsliebchen für eine Schönwetterbezie­hung und findet eine auf seinem Platz - barfuß und mit Herd. Eric Cantona singt Klezmer mit schweinischen Texten, da sein Spielmannszug leider draußen angeleint werden mußte.

 

Ist diese erwartungsvolle Erregung nicht wunderbar? Die Neuformierung der Ständegesellschaft hat der Vorfreude am Kunstgenuß keinerlei Abbruch getan. Die brennenden Autoreifen vor dem Theater sind da nur eine nette kleine Fleißarbeit der Anarchie – auch nur eine Monarchie, der man die Luft rausgelas­sen hat.

 

"Meine Damen und Herren. Können wir uns einen kleinen Mo­ment akademisch verhalten? Ist das möglich?" Dies ist die Stimme von Vater Staat, zeitgleich vor dem Theater und auf der Bühne. Er wünscht den Zwergen zu gefallen und erzielt das ge­wünschte Resultat. Die Demonstranten verziehen sich in die Wirtschaft – "War ja nicht so gemeint!" –, das Publikum ver­stummt in Erwartung einer großen Ansprache. Der Bühnenvor­hang, auf den die Hausmeisterin noch in aller Eile in großen gelben Lettern 'Hier öffnen und schließen!' gestickt hatte, was wegen des Faltenwurfs aber niemand lesen kann, gibt den Blick frei auf Rübennase und Samuel Beckett, die auf der Vorderbühne die erste Szene von 'Dachpappe und Kalkratte spielen Schach' eingerichtet haben. Der Saal tobt und wiehert. Rübennase, als Dachpappe geschminkt wie Al Jolson, blickt vom Brett hoch und spricht: "Eitelkeit ist die Grundlektion der Senilität." "Deswegen ist Kunst...", so der von oben bis unten mit Maismehl bestäubte Beckett, "die Weltwahrnehmung einer Auster, die weiß, daß sie sich in einem bewegten Kosmos aus Geist befindet, den sie aber niemals sehen wird." "Und weil es das schwierigste in einer Be­ziehung ist, die Freiheit des anderen nicht nur zu dulden, son­dern zu schätzen..." "...führt Schicksalsgläubigkeit in Lethargie und Grausamkeit." "Der fröhliche Optimismus, daß sich die Lä­cherlichkeit von materiellem Besitz dem Menschen schon von alleine offenbaren wird..." "...folgt deshalb zwangsläufig die Er­kenntnis: Hauptsache, nicht allein." "Vor diesem Hintergrund muß die ganze Heils- und Menschheitsgeschichte neu erfunden werden." "Und wenn die endlich richtig klasse aussieht, dann bleibt nur noch eine Frage übrig:" "Warum muß die Zeit verge­hen?"

 

Die Künstler erheben und verbeugen sich, die Königin wirft vor Rührung ihr Eisernes Kreuz auf die Bühne, der Vorhang schließt, der Saal verdunkelt sich, DJ Schüchtern beginnt mit leisen Na­gergeräuschen. Marios Sohn flüstert zu Björk: "Freunde ohne Ge­heimnis voreinander – wie ergreifend." "Du will dir wohl unbe­dingt in mein Herze ein Zuhause geben?" Marios Sohn schüttet die ganze Portion Dackelaugen in sein Gesicht: "Du gehst arbeiten und ich mache Urlaub. Wäre das nicht wunder-wunder-schön?" Die Alpen schicken ihre goldenen Vorboten des Wetter­sturzes. Zu spät. Der erste Akt beginnt und Thilo Trieblastigkeit kann seinen Satz.

 

***

 

Mit großen Kellen aus Obsidian schenkt der Express-Chef höchstselbst die Pausenfütterung aus. Fruchtsuppe mit Quark­klößen. Das Volk braucht Stärkung und Vitamine. Es ist erschöpft und neigt zu Erkältungskrankheiten. Beseelt von den Schlüsseler­fahrungen der letzten Stunden spricht es über Identität, Gesund­heit und Weltraumsehnsucht. Natürlich wird auch das Apres Artes diskutiert. Aus den Feldflaschen nimmt es Energie-Drinks zu sich. Vor den Toiletten bilden sich Schlangen wie zu schönsten Inflationszeiten vor der Brotausgabe. Einige Falschparker erfah­ren noch via Kurzwelle von ihrem Unglück. Einige Römer rasie­ren die Herren mit dem Kurzschwert und Kernseife. Der Hand­tuchverteiler erzielt für seine letzten wasserdichten Uhren Spit­zenpreise und fliegt heim ins Los Angeles vor dem großen Erd­beben. Die Crew ist gleichbleibend konzentriert und zielgenau.

 

Mario führt die Kinder durch die Katakomben und beweist ih­nen, daß die Handysuchspinnen nur den Theatertod gestorben sind. Der Spielmannszug von Eric Cantona wurde in die Steinbrü­che abgeschleppt, doch leider hat der Fußballgott sein Schmier­geldkonto bereit kraß überzogen. Die Vertreter der Religionen vergleichen die neue Heilsgeschichte mit ihren unterschiedlichen Glaubensfundamenten und entfachen dabei eine neue scholasti­sche Streitkultur. Der Direktor des Schornsteinfeger- und Angst­museums zeichnet für das sprechende Gemüse auf einer großen Schautafel ein komplexes Organigramm der vorkommenden Pri­märneurosen. Marie jongliert zur Entspannung mit neun Zwie­beln.

 

Man hat eine derartige Vielfalt glückssuchender Verletzlichkeit nicht mehr gesehen, seit die alten Azteken ihre Überzeugung ge­äußert hatten, daß Bewegung die Ursache des Weltuntergangs sein werde. Damals gründete sich der Volkssport des Schwär­mens, dem ja auch die aktuelle Monarchie ihre Existenz ver­dankt. Faszination Mensch. Immer wieder eine Reise wert.

 

Nieselregen läßt die Fassade glänzen. Batman jagt Mäuse in den Schluchten der Stadt. Die Enzephalie wird besiegt. Die Fruchtsuppe ist köstlich, die runden Bäckchen der Hausmeisterin glänzen rosa. Und DJ Schüchtern? Man glaubt es nicht! Er kniet vor der Königin und bekommt ihre Telefonnummer überreicht. "Jetzt werden aber keine Fehler gemacht!" zischt ihn Samuel Beckett an, nachdem er über vier Stuhlreihen gestolpert ist und laut krachend gegen die Zahnradbahn gelaufen war. "Sonst heißt dein Reiseziel Mond." Sorry Leute – etwas Autorität muß sein. Wenn die Zeit schon rast wie holländisches Stillleben, muß eine Führungspersönlichkeit auch mal Einkäufe schleppen.

 

Der Express-Chef stopft die gierigen Mäuler jetzt mit Flamin­gomedaillon an Schlaflosigkeit und Colliezunge auf Semmel. Re­zeptneid läßt Jesus Zwillingsbruder, im Nebenberuf Fernsehkoch, dampfen wie einen Kühlturm. Das freut die rauchende Ereignis­losigkeit, denn so kann sie auch drinnen batzen. Hastig drehen seine gelben Finger neue Kippen, während sein Boxer die Gäste anbettelt und ab und an tatsächlich ein paar Augentropfen be­kommt.

 

Petros Ex drückt sich vor dem Theater herum und flieht vor dem stärker werdenden Regen unter die Loggia, wo sie sich von Pannen-Olli einen Tripper holt und sich zur Landflucht mit Akkordeonbegleitung entschließt. Langsam baut sich neue Span­nung in Erwartung des Schlüsselaktes "Jesus erscheint in der Vulva" auf. "Blasphemie? Muß das sein?" fragt Kronprinz Sepp Marios Sohn. "Gegenfrage Hochwürden: Welche Farbe hat ein Kopfball?" Gott sei Dank findet Sepp auf dem Boden zehn Pfen­nig, bevor ihm zu viele der Umstehenden angemerkt haben, daß er eine Antwort sucht. Mit leuchtenden Augen bringt er das Geld zu seiner Mutter, die es willig in Empfang nimmt. "Wie gut, daß wir keinen Schrecken vor Luxus kennen, mein Sohn." "Nächstes Mal sollten sie mit ihm vielleicht lieber wieder zu einem kapita­listischen Motorsportereignis gehen", flüstert der Eremit ihr einen Ratschlag zu. "Oder vielleicht noch einen gemeinsamen Zelturlaub?" zischt die Gekränkte gereizt zurück und hält Aus­schau nach Bobby Fischer, DJ Schüchtern, Thomas Didymus oder Eric Cantona. Der pflügt durch die Massen und gibt Popp- und Zischlaute von sich, um die Richtmikrophone des effektiven Ge­heimdienstes der Königin zu ärgern. Im Hinterzimmer des FDP platzen dazu die Trommelfelle wie Seifenblasen. Der runde Ober und seine Wirtin reparieren die schlimmsten Schäden mit Tesa­film.

 

Vorne im Laden zieht sich Marscha zu Bobbys blumiger Bongo-Begleitung splitternackt aus, denn "Freude ist Erholung!" Man kann gar nicht so schnell mitzählen, wie hier die Berufsge­heimnisse fallen. Nur eine kleine Gruppe christlich Schlechtgela­unter erhebt Schilder über ihre Schnapsglasbataillone: "Der Ver­lust von Scham ist der Anfang vom Schwachsinn!" Das gibt Haus­verbot. "Werden sie nicht bitter, meine Herren", empfiehlt ihnen Mascha zum Abschied: "Im Schatten der Massen ist schamhafte Entblösung wie Trost durch Schokolade – wohlfeil und gottes­fürchtig."

 

Im Foyer schenkt der Express-Chef das Dessert aus – Orangen­haut mit Cellulitis – und bekommt dafür drei Nippes-Sterne. "Su­per!" schreit das Volk. "Super!" murmelt die Königin. Die Picasso­erben haben ihre Vitrinen leider von innen bekleckert und be­schmiert und können nichts mehr sehen. Ihre Platzkarten erhal­ten jetzt www.untergrund.org und einige Cro Magnons vom Pla­net der Tasten. Umhaucht vom Geist würziger Rülpser stolpert das vollgefressene Publikum zurück zu den Sitzen. Dj Schüchtern erklärt Mario, was zu tun ist, weil er immer noch so vor Aufre­gung zittert, daß er bereits drei Bach-Gesamteinspielungen zer­brochen hat. Björk hilft. Rübennase und der Spieleprogrammie­rer von Marios Sohn sitzen jetzt gemeinsam auf einem Klapp­stuhl und bohnen sich. Auf der Bühne beginnt die Schlacht von Sharpsburg.

 

Die Hausmeisterin sitzt auf einem Tennisrichterstuhl und zählt: "Union: Total of 75.000 men engaged in battle. Confederates: To­tal of 40.000 men engaged in battle. Dead: 2010 (Union). 2700 (Confed.). Wounded: 9416 (Union). 9024 (Confed.). Missing: 1043 (Union). 2000 (Confed.)." Die Königin bekommt Schluckauf, der Eremit betet für die Toten, Thilo Trieblastigkeit wird es langsam heiß zwischen den Schamlippen, aber Gott kennt keine Gnade. Erst einmal treten Priap, Rabbi Katzenellenbogen, Padre Omnipo­tente, Karin, Abel und die anderen auf und beweisen Rübennases rhapsodischen Geschäftssinn. Denn sie sitzen um die Lagerfeuer der Sieger und erzählen von Verarmung und Verherrlichung in der Geruchsgrotte, wo Muskat in Ringelsöckchen den Angst- und Panik-Feminismus ins Zeugenschutzprogramm des Märkischen Polstermarktes aufnahm und ihn auf dem grell geschminkten Thesendampfer versteckte, wo das Aroma von Denkblockaden und Fußpflege in Zimtwolken jene sorgfältig gelähmte Psyche verursachte, aus der der Slogan "Rote Haare, Sommersprossen, sind des Teufels Volksgenossen" entwich, der in den folgenden Jahrhunderten männliches Begehren in die Materie hineinver­körperte und Seelen, die sich auf Widerstreben eingerichtet hatten, von der Hoffnung trennte.

 

Prunikos, der die Bibel aus­wendig kann, versucht diese Erzählung, die im Hintergrund von der Bewältigung des Großbürgertums des 19. Jahrhunderts durch den Expressionismus – also Star Wars, wenn Franz Kafka es ge­dreht hätte – illustriert wird, mit dem Text der Schrift in Ein­klang zu bringen, und scheitert an der Interpunktion. Der Eremit flieht vor seinen Gedanken in den Schlaf. Thilo Trieblastigkeit versucht krampfhaft, seine Leidenserfahrung in ein Bedürfnis umzumünzen. DJ Schüchtern sitzt mit Durchfall auf dem Klo und schreibt der Königin einen Abschiedsbrief, bis er entdeckt, daß das Klopapier alle ist. Also raucht er solange, bis die Sprinkleran­lage angeht und macht Handstand. Mit letzter Kraft sieht er seine Tinte die fliehenden Silberfische jagen und hört seine neuroti­schen Gefühlseinschlüsse aus den Taschen auf den Boden klim­pern, dann wird er ohnmächtig.

 

Auf der Bühne, wo Padre Omni­potente und Rabbi Katzenellenbogen bei einer Wanderung durch Okraschoten-Schleim die Verbesserung des interstellaren Schil­derwaldes zur Vermeidung von plantearischen Auffahrunfällen in ihren Grundzügen entwerfen, streckt Rübennase die Dialoge bis zur Wässrigkeit, als er dann doch noch einen Streit aufbaut, den Rabbi Katzenellenbogen mit dem Satz beendet: "Gott, wenn ich Sie nicht als krank in Erinnerung behalten soll, brauche ich eine Erklärung für Ihr Verhalten." Und Gott antwortet: "Weißt du Rabbi. Mit zunehmendem Alter tarnen sich Schuld- als Verant­wortungsgefühle, was aber den gleichen Schaden anrichtet." Und so stirbt, gemäß dem Katzenellenbogen-Axiom, daß ein Gott, der sich zeigen muß, kein Gott sein kann, Padre Omnipotente den ir­dischen Tod, der Rabbi fällt vom Glauben ab direkt in den Okra­schoten-Schleim und Karin und Abel und die anderen fragen sich, wie es weiter gehen soll.

 

Da schiebt Priap, der Hüter fossiler Verhaltensnormen, seinen Zivilisationsbringer in die Maria und heraus fällt der Jesus, ein Albino, und sagt: "Da ich noch nichts vergessen kann, muß ich verstehen." Der General, trotz des Ehe­rings ein rücksichtsvoller Mensch, erklärt Kronprinz Sepp: "Das Albinotum ist angesiedelt am 11. Chromosomenpaar und korre­spondiert damit mit den elf Dimensionen, aus denen unser Uni­versum besteht. Nur ein Albino kann also unser Sein in seiner Gänze erfassen. Ist das nicht ein schönes Bild?" "Weiß ich doch!" brummt der Depp und packt seine hartgekochten Eier knisternd aus der Alufolie. Thilo Trieblastigkeit bringt das wieder derartig aus dem Konzept, daß er auf die Frage des Volkes: "Siehst du denn deinen Vater noch manchmal?" "Vielleicht ab und zu im Telefonbuch" antwortet und gegen einen Ersatzmann ausge­tauscht werden muß.

 

Vor dem Theater versammelt sich derweil genmutierter Spargel mit Augen und erwartet das Gewitter. Und während Priap und Jesus Fässer mit Geld und Trinkschokolade horten, akzeptiert das voll­gefressene Publikum seine Trägheit und verschläft Jesus’ Lehr- und Wanderjahre und solche Spitzendialoge wie: Jesus: "Sag mal Priap, verstehst du es, warum ich mich in der Liebe einfach nicht fallen lassen kann?" Priap: "Du hast einfach zuviel von dem, was dich versaut hat, als Teil deiner Persönlichkeit akzeptiert." Oder: Jesus: "Sag mal Papa, wie vermehren sich Ohrenkneifer in der Wohnung?" Priap: "Sag mal, bist du sicher, daß du genug Popmu­sik konsumierst?" Schließlich: Jesus: "Du Priap, wie kommts? Ich habe nicht das geringste Bedürfnis nach Gedanken mit Bestand?" Priap: "Mein Freund Heraklit sagt immer: Unsichtbare Harmonie ist stärker als sichtbare. Denk mal drüber nach, Sohn."

 

Ein paar Mitglieder des Freien Forums für Erziehungsfragen spenden hier Szenenapplaus und wecken damit die anderen, die somit die ganze griechische Episode in Jesus' Biografie verschlafen haben und deswegen auch nicht verstehen können, wie Jesus das Pe­nicilin erfand. Und während Jesus mit einem Heulkrampf auf der Bühne zusammenbricht, weil Eule, eine Kreuzung aus Wille und Traum, ihm erst die Erfindung der Kommunisten-Hysterie und dann auch noch der digital-analogen Schnittstelle weggeschnappt hat, groovt der Saal sich langsam wieder auf das Geschehen ein und stellt laute Zwischenfragen. "Ich wüßte gerne, warum erst der Protestantismus das Kirchengestühl erfunden hat und vorher alle stehen mußten?" "Herr Jesus, können sie mir sagen, warum meine Frau fremd geht?" "Kann man auch sterben, wenn man überhaupt nicht gelebt hat?"

 

Samuel Beckett hatte es befürchtet. Zuviel konkrete Sinnsuche bringt das Stück zum Kippen. Rüben­nase weicht seinen Blicken aus. Marie jongliert mit elf Zwiebeln. Eric Cantona verläßt mit der Königin zu Bachmann Turner Over­drives "You Aint Seen Nothing Yet" den Saal. Aber das ist gar nicht da Schlimmste. Der erste Teigfladen landet auf dem Schoß des Bühnenfeuerwehrmannes. Danach versenkt der Monsun das Teigdach in zeremonieller Bedachtsamkeit auf dem bewohnten Gestühl. Warum müssen selbst so lustige Geschichten wie diese immer in der Tragödie enden?

 

***

 

Thilo Trieblastigkeit kommt ins FDP. "Ich verstehe die ganze Aufregung nicht." Keiner lacht wirklich. Marie stillt Joseph. "Wir hätten den Teufel mitspielen lassen sollen. Er hat doch ge­sagt, daß ein Mythos ohne das Böse zwar spült, aber kein Wasser spart." "Halts Maul, Schüchtern. Du bist doch besoffen." "Und was machen wir jetzt mit den Kostümen?" "Die werden gefälligst auf­getragen."

 

Die Hausmeisterin kommt durch die Küche und ver­teilt Lohntüten. "Geld wäre mir lieber gewesen", brummt Samuel Beckett. Marios Sohn zerschlägt sein Sparschwein und verteilt den Inhalt an die Anwesenden. Bobby Fischer fragt: "Heißt du jetzt eigentlich Mascha oder Marscha?" Der Chef-Express kommt herein und murmelt eine Entschuldigung in seinen Bart. Das In­ternet-Forum "Jesus zahlt!" hat bereits eine Million Zugriffe und das Teigrelief der schreckerstarrten Premierengäste wird per Luftcargo nach dem Palast verbracht, denn die Königin hat sich kringelig gelacht. Das hebt die Stimmung im FDP aber keinen Deut. Zwar bastelt Rübennase auf dem Schoß des Spielepro­grammierers von Marios Sohn an einigen Alternativen für den Schluß des 4. Aktes, aber Beckett läßt nur sein PEZ-Männchen auf- und zuschnappen und grummelt: "Ich geh heim nach Dublin. Da schmeckt wenigstens der Capuccino."

 

Die aggressive Melan­cholie der Situation schreit nach Gerbera, Kuscheln und Verzei­hen, aber noch ist der General nicht da, also klimpert Björk ein wenig auf dem Atonalium herum und singt ein paar isländische Ratschläge auf englisch. Wenn Trollfinder und Würfelschnitzer von nächtlichen Handtuchherden berichten, fällt immer ein Sätz­chen ab, mit dem die Welt, die Liebe, die Situation gerettet wer­den kann. Zum Beispiel: "Wenn du nicht mehr von der Sprache der Liebe beherrscht als Vokale, dann ist die extreme Durchläs­sigkeit zwischen Gedanken und Gefühlen für dich nicht gut."

 

Joseph muß gewindelt werden. Petro und Crazy lieben sich. "Angst vor dem Schicksal" boxt in Las Vegas gegen "Lebe heute, sterbe morgen", während Hank Wiliams dazu singt: "Aus dieser Welt komme ich nicht lebend raus." Goldkettchen fesseln die wartenden Psychosen an die Klappsitze. Beckett stellt den Fern­seher aus. Im Herrgottswinkel wird die weiße Fahne gehoben: Unglück gültig. "Vielleicht sollten wir uns alle betrinken?" "Halts Maul, Schüchtern." Noch ein Fehlstart. Die Maske kommt, hat einen Militarialaden geplündert und bringt etwas Zerstreuung. DJ Schüchtern geht auf Paterre. Der Sack mit Dantes Asche wird rumgereicht und jeder nimmt einen Schluck. Sie hatten alle so gehofft, mit diesem Abend unsterblich zu werden.

 

Nun versammeln sich Menschentrauben vor dem Hausein­gang und weinen. Der Chef-Express keltert den Jahrgang als "Be­rechnend und konsequent". Langsam macht sich im Warten auf den General Langeweile breit. Der Lärm der Helikopter, die von oben in den Hof filmen, verhindert den Nestbau der Intelligenz zur mogendlichen Brutzeit. Das hebt die Laune auch nicht. Das senkt sie. Hier hilft nur Beschäftigung. Petro, Crazy, Marios Sohn und Björk bauen mit Klebstoff, Sägespänen und Kugelschreibern eine Wendeltreppe vom Boden zur Decke, so daß die Kackerlak­ken nicht immer um den ganzen Raum rennen müssen, wenn das Licht angeht. Mario erklärt DJ Schüchtern mit Josephs Rasseln einen 4/17tel-Beat. Joseph und Maria spielen mit Gummibärchen noch einmal die Schlacht von Shapesburg unter Beteiligung von Potiphars Weib nach. Die Handwerker kauen auf den letzten Col­liezungensemmeln von gestern und sammeln Zonenwitze. Die rauchende Ereignislosigkeit raucht.

 

Bobby Fischer: "Willst du eigentlich eine Beziehung oder eine lebenslange Affäre?" Marscha: "Bei einer Affäre besteht natürlich die Gefahr, daß man sich irgendwann trennt, weil man bei jedem Kuß das Bewußtsein verliert." "Bei einer Beziehung aber beweint Jesus irgendwann Adonis." "Versucht es doch mal mit unnötigen Geschenken und offenen Wadenverbänden zu kurzen Hosen", mischt sich Samuel Beckett ein. Mit "Ireland, zero points!" stellt Marscha den Störsender ab und ruft bei Hapag Lloyd an, um die Flitterwochen im Stehcafé Bahnhof Mönchengladbach zu buchen. Thilo Trieblastigkeit putzt sich und wartet weiter vergeblich auf Schuldzuweisungen.

 

"Da kommt die Achillesferse." "Millionen Frauen lieben mich", summt der General. "Nur deine Frau versteht das nicht", antwor­tet die Ziegenfellverkäuferin. "Schon gefrühstückt, Leute? Ich war ein wenig mit Business-Gesocks unterwegs und habe hier noch eine paar Fransenfliegen-Burger in der Tüte. Appetit?" "Kannst du nicht ein paar heilende Worte sprechen?" unterbricht Marie sein Ablenkungsmanöver. "Ich bin doch selbst so traurig", und laut schluchzentd wird er von allen mit Bierdeckeln bewor­fen. "Es war dein Plan, also rechtfertige dich", beendet Samuel Beckett den lustigen Teil der Gerichtsverhandlung und dunked dabei seine Bananenschale in den Kronleuchter. "Ich hatte doch alles so toll berechnet." "Und woher die Pläne?" "Na, aus der Un­verständnis-Bibliothek." "Etwas Todesverführung braucht doch so ein Unternehmen" setzt er noch in das allgemeine Aufstöhnen nach und versteckt sich mit einem Kokosrülpser hinter dem ein­äugigen Kosaren.

 

"Trost oder Knuddelfurz, liebe Jury?" fragte Beckett ins Rund. "Trost." "Knuddelfurz." "Knuddelfurz." "Trost." "Trost." "Trost." "Knuddelfurz." "Geschenkt. Ich rufe im Schreibladen an und be­stelle Stimmzettel." Beckett sieht auf seine Reisesonnenuhr und winkt ab: "Zu spät. Das Attribut des Vertrauens ist Ungemach. Der Schreibladen hat Sommerferien."

 

"Was ist das denn für eine Erregung in dieser Kneipe?" Das ist Kronprinz Sepp, der letzte in der Top Tausend der Sehnsucht, den man jetzt sehen wollte. "Ich habe ein Kriegsschiff bereit gestellt, um daraus ein neues Theater zu bauen. Was halten wir davon?" "Wir haben kein an­deres Ziel mehr, als ohne Ziel zu brennen." "Halts Maul, Schüch­tern." Disqualifiziert. "Das ist doch nur der Neid", lallt der Ver­zweifelte und bestraft die Angreifer mit dem Verlust des Be­wußtseins. Björk stellt den Ohnmächtigen zum Chow-Chow an den Spülstein.

 

Marios Sohn will technische Daten. Rübennase konzipiert be­reits ein neues Stück – irgendetwas mit dem Charme des letzten Jahrhunderts. "Wie wäre es mit 'Anbetung des Bieres in der Höhle der Ewigkeit'? Erster Akt: Gott im Kreise seiner sieben Leuchten?" "Gott stellt keine Fragen", erinnert ihn Samuel Beckett, der von der Perspektive, weitere Erdzeitalter in seiner feuchten Monteurswohnung zu hausen, nicht begeistert ist. "Sonst aber Super-Kali-Fragi-Listik-Expi-Aligetisch." "Sollte man nicht lieber Mal was machen über Aggressionen aus Einsamkeit und Kränkung, die sich dann im Kopf von großen Menschen in Kritik verwandeln?" "Das nennen wir dann: Hauptsache liebes­krank, oder wie?" "Ich weiß nicht, ob wir in dieser Mischung aus Müdigkeit, Unzufriedenheit, mangelndem Selbstvertrauen und traurigen Gedanken wirklich neue Pläne schmieden sollten?" "Fühlst du dich wieder unbeholfen in deinem Körper?"

 

"Ruhe! Schluß! Aus!" Das ist der General hinterm einäugigen Korsaren: "Wir scheißen auf diesen ganzen Schuld-Mist." "Du meinst wohl deinen Schuld-Mist?" "Egal. Wir wollen frei sein. Das ist die Parole." Und schon beginnt der Mann wieder seine Zukunft zu vergessen und mit dem Brennglas Konzepte auf Dantes ausge­breiteten Grabsack zu zeichnen. "Ich liebe diese wütende Hin­gabe." "Gleichzeitig zartfühlend und aufdringlich – wie macht der das bloß?" "Man muß davon ja nicht alles verstehen, damit es ei­nem gefällt."

 

Björk kaut schon wieder auf ihren Filzstiften, Samuel Beckett grinst etwas kratzbürstig, Marie zeigt Joseph die elf lebenswich­tigen Akkorde auf der E-Gitarre, Marscha zieht sich im Windfang aus. Mit der Nagelschere schneidet der Spieleprogrammierer von Marios Sohn Kulissen aus Ravioli-Dosen, seinem Lieblingsessen. Marios Sohn und Bobby Fischer bauen aus Eiswürfeln einen Fa­radayschen Käfig gegen die Abhörversuche von Shakespeare und den anderen. Rübennase konfisziert jeden Schnipsel unbeschrie­benen Papieres und interviewt Crazy zu unbekannten Glücksge­fühlen, während Mario bereits mit Armbrust und Bunsenbrenner auf die Suche nach jungen Reichen geht. "Schöner kann Intelli­genz nicht aussehen", flüstert die Hausmeisterin zur rauchenden Ereignislosigkeit und drückt seine rauhe Hand.

 

"Kannst du dir nicht einen neuen Schweißgeruch besorgen?" fragt Beckett endlich Marscha, die sich zur besserne Verdauung der Colliezunge auf die rechte Seite gerollt hat: "Meine Rechte sind einfach älterer Natur." "Ach weißt du, Beckett", springt die Souffleuse Marscha bei: "Solange Autorität Furcht einflößt, ver­stärken Konfusion und Absurdität konservative Tendenzen in der Gesellschaft." "Das ist von Andreski, sie kleine Angeberin." Das ist die Vertreterin der Kassenpatienten, deren Rechthaberei aus der Angst geboren wurde, bei Prüfungen zu versagen. Auf 157 Kongressen hat sie das Glück vergessen, aber nicht ihr Mit­gefühl, und so bringt sie einen Korb voll Brezeln zu den schönen Verlierern. Rabbi Katzenellenbogen verspricht ihr ein Kind und heiratet ihre steirische Unruhe. "Man hat eben einfach keine Wahl, wenn man sieht, was Mißverständisse alles anrichten kön­nen." "Etwas Kamillentee?"

 

Der General springt auf den Tisch und bellt heiser in die zerbis­sene Luft: "Jetzt gibts erst mal ne große Party. Ich engagiere die Band." "Warum können wir nicht einfach wieder in die Zukunft gehen und zu zweit glücklich sein?" fragt ihn die Ziegenfellver­käuferin. "Ich kann es halt nicht lassen, zu sehen, was passiert." Aus dem Spucknapf kullert Vanilleeis, der Boxer verspricht dem Chow-Chow Ferien unter freiem Himmel und erläutert seine Theorie zum Weh-Vogel. "Dies wird eine Premierenfeier, die sich gewaschen hat."

 

Samuel Beckett denkt darüber nach, ob das jetzt gut oder schlecht ist und erfindet dabei den Kompaß. Mario sagt zu Marie ein paar sehr große Worte über ewige Liebe. Björks Wünsche zeigen ihr, daß sie in der Fremde ist. Dann kommt die Band. Ei­nige Salzburger mit einigen Bassisten. "Wo bleibt der Flügel?" "Der Pianist kommt nie zu pät" belehrt Marios Sohn Kronprinz Sepp und schon kommt Puff Daddy, genervt und gestreßt von dem Millionen-Protz, den er veranstalten muß, damit die Ghetto-Kids seine Platten kaufen. Er schlägt die ersten Takte von "Wenn Kino-Franzosen lieben" an und sofort kocht der Saal wie ein Seele, die schlagartig begreift, wie man Verantwortung für etwas Gemeinsames übernimmt. Echt schön. Thilo Trieblastigkeit bringt die Geräusche der letzten Tage in seinem Kopf langsam zum Verstummen und entschließt sich, nie mehr an seine Mißerfolge zu denken. Dann spielt die Band "Süße und Bitterkeit". Björk schaltet ihr Diktiergerät auf Aufnahme, um nach diesem Tag nie mehr einsam zu sein. Marios Sohn will ein neues Deo erfinden mit dem Namen "Marschas Amboß". Petro nimmt eine Tankfül­lung Kartoffelpüree. Beckett denkt darüber nach, wie es einmal war, zu tanzen.

 

"Wärst du doch im Leben so wie in deiner Schrift", sagt die Wirtin zu Rübennase, der mit dem Spieleprogrammierer von Marios Sohn die Füße der anderen Tanzenden gleichmäßig über den Caféboden verteilt. "In meinem Kopf bin ich acht", gesteht der seiner Liebe fürs Leben. Joseph fragt Marie: "Was ist eigent­lich Hintergrund?" "Das ist dort, wo die Witwen die Sägespäne wegfegen." Da leuchten die Augen der Vaterlieben und wählen die Nummer der Auskunft: "Was ist weiter weg als Japan?" "Nichts mein Herr, nicht mal der heilige Ernst im Subtext ihres Mehrchens."

 

Quadrille, Tango und Schaumdisco sind die größten Renner. Ein Leben ohne Spaß kann sich plötzlich keiner mehr vorstellen. Bauhaus, Nazi und Rohrstock landen endgültig im Archiv. Die Band und Björk singen das Duett: "Was man in sich selbst findet, darf man behalten." Auch die zufällig auftauchenden Tester von "Keilschrift und Kaugummi" können diese Feierlichkeit nicht mehr einregnen. Der Dachstein verläßt die Alpen und will lieber Mensch sein. Gebühr für solche Transaktionen? 300 Seiten Un­sinn, schriftlich, leserlich, eßbar, klug. Kann Dachstein das schaf­fen? Beim Thema FKK? "Da gehe ich dann doch lieber ins Inter­net und kaue Dornen."

 

Langsam verliert die Feier ihr gespieltes Hinken. DJ Schüchtern verdunkelt die Scheiben. Puff Daddy zieht sein T-Shirt aus. Jo­sephs Lebensweg ist damit vorgezeichnet. Kronprinz Sepp ist überwältigt von der Auswahl der Glückserscheinungen. Marios Sohn läßt die Handysuchspinnen frei. "Wenn es an die Würde geht, ist es vorbei!" "Soll ich Anzeige erstatten?" "Schwimm durch die Behringstraße, Padre!"

 

Aber jetzt mal im Ernst: Was wir auf dieser spontanen Party miterleben dürfen, hat die Dynastie auch in ihren Lustschlössern noch nicht gesehen. Entblößung, Entzückung, Musik und Diskus­schmiede. Lego, Versöhnung, Leute mit der Taschenlampe wecken, die Kirche im Keller, ebenerdige Luftschlitze, Fluchtemp­fehlungen via Kurzwelle, mit den Händen langsam die Bluse öff­nen und zu den Schamlippen vordringen, Sackratten über die Kupfermorde aufklären, Gäste und Taubenvergrämung. Schweiß, Gezappel, Gejohle, ernste Gespräche über Stummheit und Dumm­heit. Langsam wird es ein wenig abgefahren.

 

Doch der General gefällt sich in der Pose des Erneuerers, Marie will ihrem Sohn gleich in den ersten Lebensstunden etwas bie­ten, Marios Sohn schraubt alle Klinken ab, nur Marscha fragt Bobby Fischer, dessen kleinen Finger sie da irgendwo in dem Sie wissen schon hat: "Und wenn die Zukunft uns nun nicht verbes­sert?" "Dann sterben wir schwanger und im Trikot von Schalke 04." "Dazu findet man auch in einem jüdischen New Yorker Anti­quariat keine bessere Bindung", bestätigt Samuel Beckett, der langsam um die Tanzfläche groovt wie ein läufiger Pflichtvertei­diger und ab und zu an einem der Tische lauscht und etwas Kandiszucker klaut. Dann tänzelt er hinüber zu Marscha und setzt sich auf den freien Stuhl: "Sag mal Mir-Gleiche. Warum bin ich als einziger hier alleine?" "Du hast einfach kein Talent für Beziehungen. Du hast genug andere. Laß uns über das Kriegs­schiff reden." Schon steht Kronprinz Sepp hinter ihr. "Es hat ein Sonnendeck und einen Thresen aus japanischen Kinderzähnen. Außen orange-metallic, innen ultramarin mit weißen und roten Höhlenzeichnungen der Matrosen. Es fährt 100 Knoten und ist termitenfrei." "Und wie lange wird der Umbau dauern?" will Pe­tro in den Lärm von "Handweich, milde Ahnung" wissen. "Ein, zwei Stunden, wenn wir einfach den Maschinenraum und die Kneipen der Küstenwache rausmontieren." Mascha, die sich wäh­rend des Gesprächs die Brustwarzen und die Lippen weiß ge­schminkt hat, ist beglückt und will nie mehr weinen.

 

Da kommt Josef Kuwasseg, der schnellste Prophet der Welt, springt auf die Europalette mit tausend Bänden von Onkel Han­nemanns "Wie ich die Welt falsch verstehe", und bittet um Ruhe: "Liebe Feuerteufel. Heute morgen im Engadin, ich nahm gerade meinen dritten Ginster und hörte die neue Scheibe von Brahms, erzählte mir die zentrale Intelligenz vor eurem Desaster. Ich war eigentlich gerade mit einigen anderen Aufgaben beschäftigt, etwa mit der internationalen Angst vor Soßenspritzern und einer Dissertation über das Thema: "Wie sich die Schweiz gegen schlechte Laune wehrt". Außerdem sollte ich bis heute abend den Gesetzestext für die Anordnung der Königin, daß jeder, der einen Artikel mit "Anmerkungen zu..." überschreibt mit einem Sommer Discoaufenthalt bestraft wird, fertig haben, aber euer Schicksal hat mich so gerührt, daß ich alles stehen und liegen ließ, um auf dem Gewürzmarkt nach einigen der edelsten Weissagungsuten­silien zu suchen. Ich fand Kartoffelschälmesser, Gelenkgurken, Zeppelin-Stills und Connecting Stones, Ulmenblätter aus dem diabolischen Verhör von Cecila Bartoli, Ingwer, unter der Brücke abgebrochen, Gemüsebrühe, Hellas-Binden, einen Erste-Hilfe-Kasten für die Entfernung der Plastikfolie von der CD, Reizwäsche – Quatsch, die war für meine Frau –, Kastanien und die Memoiren des Elite-Mörders. Ich brachte alles in die richtige Reihenfolge, kochte die Bestandteile in meinem großen Kessel und nahm ei­nige Schlucke. Ich legte mich hin und sah folgende Tipps, Trends und Themen: Als erstes: Katzenbesitz disqualifiziert für große Aufgaben. Zweitens: Eitelkeit geht einher mit Einschüchterung. Drittens: Essen gehen in Shopping-Malls ist noch kein Zeichen von Kulturverfall. Viertens: Bierseidelbetrachtungen in Trans­vestitenlokalen von 1931 sind kein Thema für echte Athener. Fünftens: Auf einer mathematisch runden Kugel kann es keinen Gott geben, weil ihm die Anhöhe fehlt, von der herab er seine Gesetze verkünden könnte. Sechstens: Trägheit führt zu Wahn­sinn. Siebtens: Wenn wir darauf warten, daß die Russen die Kar­toffelsteuer abschaffen, ist der Wodkaspeichel der Psychoanalyse schon durchs ganze Dorf gelaufen. Achtens: Grübeln ist die Un­fähigkeit, Erkenntnisse als Bausteine einer stabilen Betrachtung zu benutzen. Grübler leiden unter schmerz­haftem Verstehens-Vergessen. Neuntens: Nur die Liebe zählt. Zehntens: Absolute Stille gibt es nicht. Elftens und letztens: Wenn der Dachstuhl brennt, frieren im Keller die Leichen. Aus diesen Beobachtungen ergeben sich für Ihre nächste Unternehmung überwiegend günstige Vorzeichen. Der Ort ist brauchbar, die Zu­sammensetzung der Crew ist geradezu eine Utopie, der erste Anlauf der Stückes ist wiederum Murks, aber diesmal hat die Geschichte einen anderen Ausgang. Vielen Dank."

 

Stille. Man kann das Atmen der Massen hören. Die Hausmei­sterin hält als erste die Spannung nicht mehr aus: "Ich muß mal bügeln gehen." Da bricht der Jubel und das Schluchzen los. Der Himmel senkt sich kurz und küßt die Anwesenden. Padre Omni­potente formt aus Maries elfter Rippe einen Busfahrer, der sie alle zum Hafen bringen soll. "Die brauche ich eh nicht mehr. Au­ßerdem war die aus dem Penny-Markt." "Ich dachte, die stammt aus der Gerichtsmedizin." "Ach Liebling, das habe ich damals doch nur erzählt, weil ich vergessen hatte, das Preisschild abzu­machen." "Bevor das hier jetzt ganz profan wird, schlage ich vor, daß wir uns auf den Weg machen." "O.K." Die Crew strömt zum Ausgang. "Und die Rechnung?" Samuel Beckett dreht sich als letzter zur Wirtin um und zwinkert ihr zu: "Jesus zahlt!"

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel II

Politische Schriften

 

 

Was passiert dann?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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